16 JAHRE REGIERUNGSRAT – MATTHIAS MICHELS RÜCKBLICK GROSSE LINIEN UND KLEINE GESCHICHTEN

Im (politischen) Alltag, im Jetzt, ist es oft schwierig zu erkennen, welches die grossen Entwicklungen sind. Erst im Rückblick zeigt sich das Profil einer Zeit. Mit diesem Fokus blicke ich gerne zurück – auf die grossen Linien wie auch auf kleine Geschichten meiner Regierungszeit.

 

Hinwendung zu Zürich

Im Vorfeld der eidgenössischen Volksabstimmung zum Neuen Finanzausgleich (NFA) im November 2004 war unser Kanton allein auf weiter Flur, um sich gegen systemische Mängel dieses NFA zu wehren. Wir hatten weder Freunde noch Allianzen. Dieser «NFA-Schock» rüttelte uns auf und motivierte die damalige Regierung, sich vermehrt in interkantonalen Konferenzen und auf nationaler Ebene zu engagieren. So übernahmen in der Folge Peter Hegglin das Präsidium der Finanzdirektorenkonferenz und ich das Präsidium der Konferenz der Direktoren des öffentlichen Verkehrs.

Zug war längst Teil des Lebens- und Wirtschaftsraums Zürich geworden, als wir auf politischer Ebene begannen, unsere Fäden zu knüpfen. Dies forderte auch eine parlamentarische Motion mit dem rührigen Titel «Hinwendung zu Zürich». Als noch junger Volkwirtschaftsdirektor machte ich meinen ersten «aussenpolitischen» Antrittsbesuch bei der damaligen Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin. Er war mehr als bloss Symbol: Ich hatte einen Rucksack voller Ideen dabei, wie die politische Arbeit intensiviert und die Interessenwahrung dieses Grossraums Zürich-Zug verbessert werden könnte. Die Zeit des Autoaufklebers «Aktion saubere Zentralschweiz – Zürcher raus!» war definitiv vorbei. Der Kantonsrat unterstützte den regierungsrätlichen Antrag, sowohl der Metropolitankonferenz Zürich (zur Entwicklung der Region im Innern) als auch der Greater Zurich Area (zur Standortpromotion in der Welt) beizutreten. Damit startete im Jahr 2009 eine neue Ära einer anhaltend wichtigen regionalen Zusammenarbeit.

Zug bewegt

Quasi als gesellschaftlich-kulturelles Vorzeichen dieser Zusammenarbeit konnte sich unser Kanton am Sächsilüüte 2007 präsentieren. Als hätten die Organisatoren die kommende politische Zusammenarbeit erahnt, haben sie diesen Besuch unter das Motto «Shake Hands – Zug trifft Zürich» gestellt. In der Folge stellten wir unseren Kanton auch in anderen Regionen vor: Im Jahrestakt war der Kanton Zug Gast an der LUGA in Luzern (2010), an der MUBA in Basel (2011) und an der OLMA in St. Gallen (2012). Wir zeigten ein interaktives Filmpanorama, das die Spannweite von Zug zwischen Tradition und Innovation hör- und sichtbar machte.

Das grenzüberschreitende Wirken war mir immer ein Anliegen. Nach meiner 1.-August-Ansprache in meinem Wohnort Oberwil hielt ich meine zweite Ansprache zum Nationalfeiertag in Frankreich: Zug war Gastkanton beim Schweizerverein in Paris. Als Vertreter unseres Kantons durfte ich die vaterländische Rede halten, begleitet vom Schwyzer-Örgeli-Duo Grab Iten aus dem Ägerital. Einheimische Klänge und Kirschtorten inmitten von Paris, das war schon ein grandioses Gefühl. Und anderntags ein Diner in den noblen Räumen der Schweizer Botschaft, an welchem sogar eine Prinzessin unter den Tischgästen war. Da fühlte ich mich plötzlich ganz wichtig.

Bildung als roter Faden

Aufgewachsen im Bildungsumfeld lag mir als frisch gewählter Regierungsrat die Leitung der Bildungsdirektion nahe. Das Kindergartentäschlein unserer Tochter war damals mein Symbol für den Beginn: Es schlug die Brücke zu den Lehrpersonen. Von da an hatte ich bei jeder meiner gegen hundert Reden zu Schulabschluss- und Diplomfeiern einen Gegenstand als Symbol dabei, unter anderem: Smarties, Narrenkappe, Steine aus dem Gotthardtunnel, Vuvuzela. Diese Gegenstände bildeten jeweils den roten Faden. Daran erinnern sich die Leute noch heute, an den Inhalt der Reden eher weniger.

Es freute mich, dass sich das Zuger Stimmvolk in der Abstimmung zu den Fremdsprachen im Jahr 2006 klar für Vielsprachigkeit und damit auch für eine weltoffene Haltung aussprach. Die Förderung des Englisch begleitete mich auch in die Volkswirtschaftsdirektion: Von Anfang an war ich Feuer und Flamme für die Idee, eine schwergewichtig englischsprachige Berufslehre (für Kaufleute und Informatikfachleute) anzubieten. Eben haben die ersten Lernenden von «Berufsbildung International Zug» erfolgreich ihre Fähigkeitszeugnisse erhalten und nun mit ihrer Ausbildung eine tolle Perspektive – weltweit! Unsere Berufsfachschulen Kaufmännisches Bildungszentrum (KBZ) und Gewerblichindustrielles Bildungszentrum (GIBZ) haben hier – in Partnerschaft mit dem Berufsbildungsverbund bildxzug – Pionierarbeit geleistet.

Dies ist nur ein Beispiel, wie flexibel unser duales Berufsbildungssystem ist. In den letzten Jahren haben wir die Verantwortung für die Gesundheitsberufe von den Spitälern und Pflegheimen übernehmen können und führen nun einen Bereich Gesundheit am GIBZ. Der integrierende Charakter unseres Berufsbildungs- systems zeigt sich an der eben gestarteten Integrationsvorlehre (INVOL) für junge Asylsuchende mit längerer Aufenthaltsdauer in der Schweiz. Ebenso innovativ verlief der weitere Aufbau der höheren Berufsbildung: Entweder siedelten sich neue private Höhere Fachschulen in unserem Kanton an oder wir entwickelten entsprechende Angebote, wie die erfolgreiche Höhere Fachschule Agrotechnik am Landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrum Schluechthof (LBBZ). Motiviert durch die guten Erfahrungen, planen wir den Aufbau einer Höheren Fachschule für Informatik und Elektronik.

Vom Briefkasten-Image zum Crypto Valley

Das Image, in unserem Kanton gäbe es hauptsächlich Briefkastenfirmen, ist verblasst. Zu Recht, verfügt unser Kanton doch über eine sehr vielfältige Wirtschaft mit zahlreichen zukunftsträchtigen Branchen. Tausende sind KMU, von denen viele Lehrstellen anbieten. Das Zuger Ökosystem lebt, was auch massgeblich ist für das Interesse von Blockchain-Unternehmen. Die Idee der Hochschule Luzern, ein eigenes Informatik-Departement zu gründen, überzeugte mich von Beginn weg und zusammen mit der Regierung und dem Kantonsrat ebneten wir unsererseits den Boden für den Aufbau dieser Hochschule in Rotkreuz. Schon kurz nach ihrem Start merken wir, wie stark diese Hochschule ausstrahlt und innovative Personen und Unternehmen anzieht. Zusammen mit dem schon seit zwanzig Jahren erfolgreichen Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) bietet das IT-Departement ein wichtiges Element, um unseren Kanton über dessen Grenzen hinaus zu einem Zentrum für die Entwicklung und Anwendungen neuer, digitaler Finanzdienstleistungen (FinTech) zu machen.

Auf diesem fruchtbaren Boden hat sich in jüngster Zeit auch das Crypto Valley entwickelt. Dessen Anziehungskraft ist unglaublich, beinahe unheimlich: In den letzten Monaten habe ich fast wöchentlich Gäste empfangen oder weitervermittelt, Personen aus aller Welt: Von Vertretungen des Silicon Valley über Botschafterinnen anderer Länder bis zu Präsidenten von Weltstädten. Sie alle wollen einerseits die neue Blockchain-Technologie verstehen und andererseits wissen, wie ein solcher Technologie-Cluster in der Schweiz entstehen kann. Selber beobachte ich gespannt, welche künftigen Anwendungen die Blockchain-Technologie ermöglicht. Und ich bin beeindruckt und erfreut, dass Vertreterinnen und Vertreter der UNO sich in Zug über diese Technologie informieren lassen, um die Erreichung der Ziele der «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» zu fördern.

Innere Zusammenarbeit und äussere Zeichen

Alle diese Errungenschaften können nur in einem inspirierenden Umfeld, das ich in unseren Direktionen erlebt habe, und mit starken externen Partnern erreicht werden. Mit dieser Überzeugung hat die Volkswirtschaftsdirektion «Teamwork» als eines der Leitmottos der letzten Jahre gesetzt. Bei aller Verschiedenheit der Regierungsmitglieder und im Ringen um Lösungen haben wir auch als Regierungsrat darauf geachtet, gegen aussen als Einheit aufzutreten. In diesem Sinne startete ich im Jahr 2011 als Landammann mit dem Anliegen, das neue Regierungsteam zusammen zuschweissen: Im Rahmen eines Kurses im Schweissen kreierten wir eine Eisenplastik, die heute noch im Regierungsgebäude steht und unser Zusammenwirken symbolisiert. Ein starkes Symbol ist auch der Zuger Pin, der von unseren Behördenmitgliedern am Revers getragen wird: ein Zeichen der Zusammengehörigkeit gegen innen und ein Bekenntnis zum Kanton gegen aussen, das war meine präsidiale Motivation, als ich diesen Pin in Auftrag gab.

Olympisches Dorf

Von Medienschaffenden aus anderen Ländern nach einer Kurzbeschreibung von Zug gefragt, antworte ich jeweils: «Zug ist ein olympisches Dorf. Wir vereinen über 130 Nationen auf kleinem Raum, und wir leben sowohl in Gesellschaft und Wirtschaft als auch in unserer Verwaltung einen offenen, sportlichen Geist.» Oft werde ich auf diese Zuger Offenheit angesprochen. Wir haben Sorge zu tragen dazu. Auch deshalb räumt der Regierungsrat in seiner neuen Strategie dem Thema Integration einen hohen Stellenwert ein: Unter dem Titel «Zusammenhalt pflegen und Identifikation ermöglichen» wird der Regierungsrat Aktivitäten fördern, um eine Balance zwischen Tradition und Innovation sowie ein Zusammenwirken von Einheimischen und Zugezogenen zu ermöglichen. Das kann nicht verordnet werden – es braucht dafür die Gesellschaft, die das lebt. In unserem kleinräumigen Kanton ist dies möglich. Es ist dieser Charakter von Zug, diese Möglichkeit, die mich als Regierungsrat immer motiviert und erfüllt hat. Dankbar blicke ich zurück – auf die grossen Entwicklungen sowie auf die kleinen Geschichten, auf politische Lösungsfindungen sowie auf alltägliche Begegnungen mit Menschen