Soll man als Politiker betrübt sei, keine 1. August-Rede halten zu dürfen? Nein, denn in der Schweiz hat das Volk das erste und auch das letzte Wort. Das ist richtig so.

19 Jahre ist es her, als ich an unserem Oberwiler Tellenörtlifest meine erste Rede als Politiker zum 1. August hielt. Nein, ich wollte sie halten: Des schlechten Wetters wegen wurde das Fest abgesagt, die Rede blieb ungehalten. Ich publizierte sie dann in unserer Dorfzytig Oberwil.

In der Folge blieben Auftritte als 1.- August-Redner selten, jedenfalls im eigenen Land. So hielt ich meine zweite Rede zum Nationalfeiertag dann im Ausland, in Paris bei den Auslandschweizerinnen und -schweizern in Frankreich. Naturellement en français: Ich schliff tagelang an meinem Französisch, was sich dann aber als nebensächlich herausstellte: Das Schweizer Publikum wollte feiern – als Auslandschweizerin und Auslandschweizer tut man dies ohne Scham mit stolzer Brust und kommt nicht in den Verdacht, den Nationalstolz zu übertreiben.

Immerhin war ich dann noch als Redner in Walchwil, an der Zuger Riviera, und auf dem nahen Stoos eingeladen. An beiden Orten mit Fahnenschwingern und Alphornbläsern – also alles, was klassischerweise dazu gehört. Und das war gut so und hat insbesondere auch den aus dem Ausland Zugezogenen gefallen. Da, auf dem Stoos oben bzw. im dörflichen Walchwil, ist die Welt noch in Ordnung, dachte ich mir. Da darf zwischen Alphornklängen und der Trachtengruppe noch ein Politiker sprechen.

Ruf und Risiko

Aber das ist selten. Da ich mir gerne Gedanken über unsere Heimat und deren Zukunft mache und diese auch öffentlich äussere, habe ich mich in diesem Jahr als Redner angedient. In der irrigen Meinung, die Organisatoren seien hoch erfreut, würde ihnen doch die Suche erspart. Und gehört es doch zu den eher schwierigeren Aufgaben, zum Nationalfeiertag eine sinnige Rede zu halten. Diese sollte gehaltvoll und doch unterhaltsam, geschichtlich verankert und gleichzeitig zukunftsgerichtet, das Nationalgefühl stärkend und doch von kritischer Distanz sein. Wer kann das schon? Politischen Vertreterinnen und Vertretern traut man das offenbar immer weniger zu.

So hielt ich auf meine Anfrage nur Absagen. Obwohl ich mir meine Rede im Kopf schon zurecht gelegt habe. So halte ich sie nicht – und lasse sie sich als ungehaltene Rede im digitalen Netz verbreiten.

Klar: Ich hätte mich nicht erst drei Monate, sondern ein Jahr vorher anbieten sollen. Schliesslich will eine richtige Feier gut und somit rechtzeitig organisiert sein. Doch vielerorts bevorzugen die Gemeindebehörden oder die Tourismusvereine politisch Unverdächtige: Künstlerinnen, niedergelassene Ausländer, Jugendliche. Soweit so gut.

Doch woher das Misstrauen den Politisierenden gegenüber? Haben diese wirklich den Ruf, viel zu reden und nichts zu sagen? Sich selber – vor allem bei einem nahenden Wahlkampf – in den Vordergrund zu rücken? Die eigenen Parolen vom Stapel zu lassen? Doch, würde das goutiert? Wohl kaum. Und so läuft ein redender Politiker ein grosses Risiko, schlecht davonzukommen. Um von einem aufgeschlossenen Publikum gut beurteilt zu werden, das braucht schon einiges.  

Das erste und letzte Wort hat das Volk

Aber irgendwie passt es gleichwohl: Unser Nationalfeiertag soll den gemeinschaftlichen Willen zusammenzugehören bezeugen. Und das lässt sich weder politisch verordnen noch herbeireden. Dazu braucht es jedefrau und jedermann. Dass Politiker und Politikerinnen nicht das erste Wort haben, ist deshalb richtig. Auch nicht das letzte. Das entspricht meinem liberalen Staatsverständnis: Das erste Wort haben diejenigen, welche ihre politischen Vertreterinnen und Vertreter wählen, also Wählerinnen und Wähler. Und dieselben haben das letzte Wort: Wenn ihnen die Gesetzgebung der von ihnen Gewählten nicht passt, ergreifen sie das Referendum und entscheiden abschliessend.

Ich bin also nicht ungehalten. Es ist alles in bester Ordnung. 

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Matthias Michel

Regierungsrat (2003-2018), Ständeratskandidat der FDP. Die Liberalen Zug