#StänderatMichel – Politik und Anekdoten

Weder Masken, Plexisglasschutz noch Spucktests hindern das Parlament am Arbeiten. Im Gegenteil: So schnell hat Gesetzgebung noch nie funktioniert. Die Gesetzgebungsmaschine läuft mit der Covid-Gesetzgebung schon fast unheimlich, ist anfällig auf Tagesaktualitäten, geprägt von operativer Hektik und begleitet von medialem Lärm. Angesichts dessen ist das Gesetzwerk beachtlich ausgewogen herausgekommen. Gleichwohl muss diese Art von parlamentarischem Arbeiten die absolute Ausnahme bleiben, denn: langfristige, intelligente Gesetzgebung braucht mehr Reflexion.

Samstagsgespräch

Am Samstag, 20. März von 11 – 12 Uhr lade ich ein zum digitalen Samstagsgespräch mit Aktuellem und Anekdoten aus der Session. Im Online-Meeting berichte ich von den Geschäften, Abstimmungen und Ereignissen. Danach ist das Samstagsgespräch auch offen für Fragen und Diskussionen unter den Teilnehmenden. Das Gespräch findet Online statt. Hier findet sich der Link dazu.

Frisch gespuckt

Erster Sessionstag, ein frischer Frühlingsmorgen. Begrüssung im Eingangsbereich des Bundeshauses: «Sie müssen in den Spuckraum». Ich bestehe darauf, dass ich nicht muss, sondern freiwillig das Angebot annehme, mich testen zu lassen, wie auch die meisten Kolleginnen und Kollegen. Vereinzelte Ratsmitglieder nehmen dieses Angebot demonstrativ nicht an. Es sind auch solche, die vor drei Monaten demonstrativ noch keine Maske getragen haben. Interessanterweise sind es ausgerechnet dieselben Kreise, die lauthals und vorschnell totale Lockerungen und Öffnungen von Läden und Restaurants fordern. Ich finde, das eine geht nicht ohne das andere: Wenn man Öffnungen riskiert, braucht es Schutzmassnahmen. Oder: Ohne Schutzmassnahmen keine Öffnung. Konsequentes Verhalten erwarte ich auch von uns Politikerinnen und Politikern.

AHV: Finanzieren oder verschulden?

Trotz aller Notwendigkeit der AHV-Reform ist diese (schon wieder) wegen lauernden politischen Blockaden und Sonderwünschen gefährdet. So reden die einen von einem Sozialabbau bei den Frauen, obwohl die Renten der Frauen der Übergangsgeneration ausreichend kompensiert werden. Andere wollen trotz der milliardenschweren Finanzierungslücke die Renten noch ausbauen (höhere Ehepaarrente). Und ein Viertel des Rates stemmt sich nach wie vor gegen eine Angleichung der Rentenalter von Mann und Frau. Diese Haltung stärkt die Stellung der Frauen aus meiner Sicht nicht. Vielmehr könnten die Frauen doch stolz hinstehen und sagen: «Mit unserem erhöhten Rentenalter retten wir die AHV!» Da es auf dem Weg zu einer wirklich nachhaltigen und generationengerechten Reform noch viele Blockaden geben kann, unterstütze ich die Renteninitiative der Jungen: Langfristig soll das Rentenalter an die durchschnittliche Lebenserwartung gebunden werden. Einmal festgelegt, entzieht man die Bestimmung des genauen AHV-Alters dem politischen Ränkespiel.

Frauen und Farbe

Als ahnten sie die kommende Debatte um das Frauenrentenalter, erhöht sich die Präsenz der Frauen im Saal in der zweiten Sessionswoche markant. Der Ständerat hat mit 12 Vertreterinnen einen relativ tiefen Frauenanteil von knapp einem Viertel. Präsenter sind die Frauen als historische und allegorische Figuren am und im Bundeshaus, so zum Ausdruck von Unabhängigkeit, Freiheit, Frieden (quasi als in Stein gemeisselte Werte). Und zur Feier des internationalen Tags der Frau und von «50 Jahren Frauenwahl und -stimmrecht» werden ab dem 8. März grosse Wandtücher aufgezogen: Die Kunstdesignerin Camille Scherrer hat sie formal wie das traditionelle Fresko der Obwaldner Landsgemeinde (an der Rückwand des Saales) gestaltet, farblich aber aufsässiger sowie personell weiblicher und vielfältiger: Die Landsgemeinde wird von einer Frau präsidiert, unter dem Volk findet man eine Asiatin und einen dunkelhäutigen Soldaten.

Anhaltende Wirkung meines Vorgängers Joachim Eder

Wirkungen von Parlamentsmitgliedern zeigen sich oft erst nach deren Rücktritt. So auch im Fall unseres Zuger alt Ständerats und meines Vorgängers, Joachim Eder. Vor genau fünf Jahren hat er eine Initiative «für den Persönlichkeitsschutz auch in der Aufsicht über die Krankenversicherung» eingereicht. Der Prozess der gesetzlichen Umsetzung hat lang gedauert, ist nun aber erfolgreich beendet worden. Im heiklen Bereich des Umgangs mit Gesundheitsdaten der Versicherungen herrscht jetzt mehr Klarheit und Sicherheit. Einen Meilenstein hat Joachim Eder auch im Bereich Cybersicherheit geleistet: Das von ihm in einer Motion angeregte Cybersecurity-Kompetenzzentrum ist operativ und nimmt wichtige Funktionen zum Schutz der Bevölkerung, der Wirtschaft und der Verwaltung im Umgang mit Cyberrisiken wahr. Cyberattacken – und seien es «nur» fragliche Mails – können jederzeit und unkompliziert gemeldet werden.

Neue Versicherungslösungen

Viele flächendeckende Risiken oder sogenannte Kumulrisiken (treffen gleichzeitig eine Vielzahl von Versicherungsnehmer eines einzelnen Versicherers) sind schon lang bekannt: Kriege, Feuer, Erdbeben, Pandemien. Andere kommen neuerdings dazu wie Klima- oder Cyberrisiken. Vielen Risiken kann man durch Prävention begegnen, immer geht es aber auch um die Bewältigung der Schäden. Und gerade bei der nun erlebten Corona-Krise um solche, die einzelne nicht mehr selber tragen oder finanzieren können. Neue Lösungen sind gefragt. So überweist der Ständerat eine Motion, eine nationale Erdbebenversicherung über ein neues Finanzierungsmodell zu entwickeln. Und im Rahmen einer Interpellation bzw. dem entsprechenden Votum thematisiere ich die Notwendigkeit eines neuen Versicherungsmodells für Pandemieschäden in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft (Modell einer Public-Private-Partnership).

Von Fischern, Bauern und Mistspezialisten

Wir wollen inländische Produkte und deshalb eine produzierende Landwirtschaft. Umgekehrt keine Belastungen des Trinkwassers. In diesem Spannungsverhältnis beraten wir die Frage, wie die Risiken von Pestiziden verringert werden können. Die wenigsten im Rat haben eigene landwirtschaftliche Erfahrung. Entsprechend deklariert man sich gerne zu Beginn eines Votums, in welcher Beziehung man zur Landwirtschaft steht, um seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Ein paar Beispiele:
«Ich bin zwar Fischer, aber nicht Bauer, das ist bekannt. Aber ich war einmal zuständig für die Landwirtschaft in meinem Kanton.»
«Ich bin kein Spezialist für Hofdüngerfragen. Hofdünger und Nährstoffe sind einfach eine euphemistische Umschreibung für Mist. In diesem Sinne bin ich kein Mistspezialist.»

Klassenkampf ums Kapital

Rund zwei Drittel der Steuereinnahmen in der Schweiz werden auf Kantons- und Gemeindeebene erhoben. Und hier gibt es periodisch Parlaments- und Volksentscheide. Entsprechend ist das schweizerische Steuersystem, auch mit seinem Umverteilungsmechanismus (über die Progression) hoch akzeptiert. Ein Systemwechsel, welchen die Volksinitiative «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern» (sog. «99-Prozent-Initiative») fordert, lehnt der Ständerat (wie auch schon der Nationalrat) klar ab. Die Argumentation der Minderheit verweist auf ex-Präsident Donald Trump, der sich rühmte, als Milliardär kaum Steuern zu bezahlen. Dieser Vergleich wirkt reichlich deplatziert, da in unserem Land ein solcher Auftritt à la Trump nicht denkbar wäre. Ebenfalls völlig anders tickt die Schweiz, wenn es um Chancengerechtigkeit geht: Im Unterschied etwa zu den USA sind die Chancen in unserem Land, dass Kinder mehr verdienen als ihre Eltern, intakt. Und wenn schon von 99% gesprochen wird, sind andere Prozentzahlen eindrücklich: Tatsache ist, dass 90% unserer Steuerzahler zusammen nicht viel mehr als 20% der Bundessteuern bezahlen und 10% fast 80%. Diese von den Jungsozialisten eingereichte Initiative ist klassenkämpferisch, aber weder nötig noch verhältnismässig.

Verführerische Vorschläge

Gegen Innovation kann man nicht sein, schon gar nicht gegen KMU. Schon die Verbindung dieses Begriffspaars verheisst Erfolg. Weshalb hat denn der Ständerat eine Motion «Innovationsförderung für KMU» nicht freudig gutgeheissen? Schlicht deshalb, weil nur der Titel verführerisch war, nicht aber der Vorschlag. Es kommt halt nicht auf die Verpackung an, wenn der Inhalt anders daherkommt: Entgegen des Titels hätten vor allem grössere Unternehmen profitiert. Und die vorgeschlagenen Steuerabzüge wären nicht für effektive, sondern für hypothetische Kosten möglich gewesen; ein abenteuerliches Konstrukt! So innovativ war also der Vorschlag nicht; nicht weiter verwunderlich, dass er durchfiel.

Nationale Gewissensberuhigung oder internationale Wirksamkeit?

Verführerisch auch der Titel einer anderen Motion: «Einfuhrverbot für Waren aus Zwangsarbeit». Niemand will Zwangsarbeit, die gegen Grundrechte verstösst, unterstützen. Angesprochen ist China, das wegen der Arbeitslager für die muslimische Minderheit der Uiguren kritisiert wird. Wäre es möglich, Waren oder Bestandteile davon aus solchen Lagern zu erkennen und dann die Einfuhr in die Schweiz zu unterbinden? Diese praktischen Probleme sind das eine. Entscheidend für mich ist aber, und das habe ich in meinem Votum im Namen der Kommission zum Ausdruck gebracht, dass der Versuch eines solchen Einfuhrverbots zu kurz greift. Es wäre ein isolierter Alleingang der Schweiz. Zwangsarbeit würde damit nicht unterbunden, sondern nur dessen Erzeugnisse von unserem Land abgehalten. Damit könnte wohl unser Gewissen beruhigt, nicht aber China bewegt werden. Solches hat vielmehr die Europäische Union geschafft: Im Rahmen des neuen Investitionsabkommen mit der EU hat sich China dazu bereiterklärt, kontinuierliche und nachhaltige Anstrengungen zur Ratifizierung der grundlegenden IAO-Übereinkommen gegen Zwangsarbeit zu unternehmen.

Stoppt Parkinson

Wie ist es möglich, dass ein Paket zur Entlastung des Bundeshaushalts, im Klartext also ein Sparpaket, ohne Opposition durchgeht? Unter dem Titel «administrative Erleichterungen und Entlastung des Bundeshaushalts» könnte man ein grosses Sparprogramm erwarten. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt schon die einmütige Unterstützung durch beide Kammern. Offensichtlich gibt es keine Einschnitte, schon keine schmerzhaften, sonst hätte es Opposition gegeben. Gleichwohl ist eine periodische Überprüfung von Aufgaben und Vereinfachungen von Verfahren wichtig. Gerade in unserem Staatswesen, das einerseits gut funktioniert, andererseits zuweilen den Hang zu Perfektionismus zeigt. Schon nur um die im Jahr 1955 vom britischen Soziologen Cyril Northcote Parkinson beschriebene Gesetzmässigkeit zu durchbrechen: «Arbeit dehnt sich in genau dem Mass aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht», heisst der Hauptsatz des nach ihm benannten Gesetz, das er auch in eine Formel gegossen hat: x = (2k^m + L) : n. Logisch, oder?

Alter schützt vor Anpassung

Eine der meistgehörten politischen Forderungen ist «Digitalisierung». Auch öffentliche Verfahren und der Verkehr mit der Verwaltung können digitalisiert werden (sog. eGovernment). Ich unterstütze mit einem Votum die Motion zur Anpassung der provisorischen Rechtsöffnung an die gewandelte Geschäftspraxis. Das tönt jetzt etwas technisch, aber ist im Geschäftsverkehr zentral: Wie kann ein Verkäufer den Kaufpreis einer Ware, die er unbestrittenermassen geliefert hat, eintreiben? Dazu dienen die Instrumente der Schuldbetreibung. Das entsprechende Gesetz (SchKG) ist so alt wie der Eiffelturm in Paris. Höchste Zeit also, gewisse Anpassungen vorzunehmen. Dass auch das seine Zeit braucht, zeigte der Ständerat mit der Ablehnung dieser Motion nach dem Motto: Was schon seit 130 Jahren – so alt ist das Gesetz – Bestand hat, trotzt auch der zunehmend digitalen Konsum- und Geschäftswelt.

Gesetzgebung im Tagestakt

Gerade umgekehrt ergeht es dem Covid-19-Gesetz. Es ist dies das jüngste Gesetz, das seit September 2020 die gesetzliche Grundlage für besondere Regeln und Hilfemassnahmen angesichts der Krise bildet. Und es wird seither in jeder Session revidiert. Vom ersten bis zum letzten Tag der Session halten die Beratungen an, und das Gesetzeswerk geht zwischen Kommissionen und den beiden Räten im Tagestakt hin und her. Es geht immerhin um 10 Milliarden Franken, die mehr oder weniger ausgegeben werden sollen. Und um Eingriffe in private Vertragsverhältnisse. Schliesslich um die Rolle des Staates: Subsidiäre Unterstützung oder Fürsorge? Logisch, dass hier die unterschiedlichsten Vorstellungen aufeinanderprallen.

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