#StänderatMichel – Politik und Anekdoten

Heisse Debatten vor kaltem Winter. Das wäre im Kurzsatz die Zusammenfassung unserer Session: Angesichts von Energiekrise, Klimawandel und steigender Inflation rangen wir um die richtige Balance im Interessendreieck Klima, Wirtschaftlichkeit und soziale Tragbarkeit, also eigentlich um die Nachhaltigkeit mit ihren drei Perspektiven Ökologie, Ökonomie und gesellschaftliche Dimension. Dies immer unterlegt mit der Grundfrage, wieviel Einfluss der Staat mittels Regeln und/oder Subventionen nehmen soll. Und überlagert mit der Frage, welche Aufgaben – auch in Krisensituationen – der Bund und welche die Kantone übernehmen sollen. Das alles sind Grundfragen der Politik. Insofern war es eine sehr politische Session. 

Samstagsgespräch

Am Samstag, 01. Oktober von 11 – 12 Uhr lade ich ein zum Samstagsgespräch mit Aktuellem und Anekdoten aus der Session. Im Legends Club beim EVZ berichte ich von den Geschäften, Abstimmungen und Ereignissen. Danach ist das Samstagsgespräch auch offen für Fragen und Diskussionen unter den Teilnehmenden.

Nachruf für eine Kämpferin der Gleichstellung

Einer langen Tradition folgend, wird jeweils zu Beginn einer Session an kürzlich verstorbene ehemalige Ratsmitglieder erinnert. Diesmal war es eine sehr bemerkenswerte und geschichtsschreibende Person, derer man gedachte: Judith Stamm, einer der ersten Luzerner Nationalrätinnen. Noch in den 60-er Jahren wurde ihr die Wahl als Gerichtsschreiberin wegen ihres Geschlechts (!) verwehrt. Später nahm sie nach Einführung des Frauenstimmrechts die Chance wahr: Seit 1983 im Nationalrat und später als Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen war sie eine beherzte Vorkämpferin für die Gleichstellung von Frau und Mann.

Energie in Windeseile

Angesichts der Energiekrise und dem Streben nach schnellem Ausbau erneuerbarer Energien entsteht in Windeseile ein Gesetz: Noch nie so schnell wurden die gesetzlichen Grundlagen für den Ausbau von Wasser- und Solarenergie durch die Räte gepaukt. Einerseits beweist das Parlament, dass es auch schnell handeln kann. Andererseits besteht die Sorge, ob man nicht überschiesst, hier zulasten der Natur (Biodiversität, Landschaftsschutz, Restwasser). Dieses Spannungsverhältnis begleitet uns bei der Beratung des Gegenvorschlages der Gletscherinitiative und dem Mantelerlass für erneuerbare Energien. Ich finde, dass hier (wie auch anderswo) die Bundesverfassung Richtschnur sein muss: Es kann nicht sein, dass die dort vorgeschriebene Interessenabwägung zwischen Energievorsorge und Umweltschutz ausgehebelt wird. Noch in den letzten Sessionstagen wurde hier eine verfassungsverträgliche Lösung gefunden, ein Kompromiss zwischen «chronifiziertem Stillstand» in der Energiepolitik und «umweltrechtlichem Putsch», so die sinnbildlichen Worte aus der Debatte.

Ideologische Fantasie(n)

Die Strom- und Gasknappheit lässt Preise steigen, stromabhängige Unternehmen kommen in Schwierigkeiten und Privatpersonen beklagen die steigende Inflation. Diese schwächt die Kaufkraft und macht viele politischen Köpfe erfinderisch: Im Ständerat wurden dreizehn Vorstösse zur Sicherung der Kaufkraft bzw. Abfederung der Inflation eingereicht und beraten. Sicher, die Sorge um die Kaufkraft ist ernst zu nehmen, allerdings wird fürs ganze Jahr eine Inflation von rund 3% erwartet. Gleichwohl werden von den politischen Polen links und rechts Massnahmen eingebracht wie: Sofortige Erhöhung der Renten, Aufhebung der Mineralölsteuer, neue Steuerabzüge, Energiezulage für Haushalte, «Bundescheck», Erhöhung der Prämienverbilligung usw. Ich stimme überall dagegen, denn: Wir haben keine Hyperinflation und keinen drastischen Verfall der Kaufkraft, also keine allgemeine Notlage. Offensichtlich bewirtschaften hier einige Parteien ihre Wahlbasis mit verführerischen Ideen.

Verkehr: mehr Effizienz

Zu einseitig wird debattiert, wie mehr umweltfreundliche Energie produziert werden kann. Aber zuerst stellt sich die Frage, wie wir weniger Energie brauchen. Im Verkehr ist die Förderung des öffentlichen Verkehrs wichtig; es braucht dazu aber auch gute Umsteigemöglichkeiten: vom Velo oder Auto auf die Bahn oder umgekehrt – es braucht Verkehrsdrehschreiben und bessere Veloverbindungen besonders im ländlichem Raum. Das ist Inhalt meines erfolgreichen Vorstosses zugunsten der  kombinierten Mobilität, den ich in meinem Votum erläuterte.

Sprachenstreit am Gericht?

Der Sprachenstreit ist in der Regel eine Sache des Lehrplanes: Wann sollen Schülerinnen und Schüler mit welcher Fremdsprache beginnen? Für einmal stritten sich Anwältinnen und Juristen im Parlament um die in der Schweiz zugelassenen Gerichtssprachen: Neben unseren Landessprachen soll es neu auch möglich sein, in Englisch zu plädieren (wenn auch unter einschränkenden Voraussetzungen, dass die Kantone dies in Handelsstreitigkeiten zulassen müssen). Der Sorge, dass unserer Richterinnen und Richter die englische Sprache ausreichend beherrschen, entgegnete Bundesrätin Karin Keller-Sutter mit dem Hinweis, dass dies schon von Vorteil wäre: «Von daher ist es sicher nicht schädlich, wenn man die englische Sprache ein wenig beherrscht.»

OECD-Steuerreform: Zentralismus droht

Wegen internationalen Vorgaben der OECD muss auch die Schweiz Anpassungen im Steuerrecht vornehmen: Die grössten Unternehmen unterliegen einem Gewinnsteuersatz von mindestens 15%. Das bedeutet Steuererhöhungen in verschiedenen Kantonen, unter anderem im Kanton Zug. Klar ist für mich, dass dieser Steuerertrag grundsätzlich bei den Kantonen verbleibt, denn diese investieren in gute Bedingungen für Unternehmensstandorte. In einem Kompromiss haben sich Bund und Kantone auf eine Bundesanteil von 25% geeinigt. Mehr darf es nicht sein, denn jeder Geldabfluss nach Bern führt zu mehr Zentralismus und weniger Geld für den Ausgleich unter den Kantonen, betonte ich in meinem Votum. Als Ständerat setze ich mich für die Interessen der Kantone ein.

Eizellenspende hilft Familien und Gleichstellung

Ehrlicherweise war für mich nicht von Anfang an klar, ob wir in der Schweiz die Spende von Eizellen erlauben sollen: Gibt es Grenzen, dass eine Familie ihren Kinderwunsch erfüllen kann? Doch wir nutzen schon lange die Fortpflanzungsmedizin: Samenspenden sind schon lange anerkannt, aber wenn der Grund der Unfruchtbarkeit bei der Frau liegt, war ihr bisher nur der Ausweg übers Ausland möglich, wo die Eizellenspende weitgehend erlaubt ist. Das ist zu ändern – aus Gründen der Gleichstellung und zugunsten von Eltern, die eine Familie gründen wollen. Angesichts des knappen Stimmen-Verhältnisses war mein Votum wichtig.

Rechtsstaat ohne Verfassungsgerichtsbarkeit?

Als junger Jus-Student störte mich der Umstand, dass unser Parlament Gesetze erlassen kann, die verfassungswidrig sind, ohne dass dies durch ein Gericht korrigiert werden könnte. Wir haben in der Schweiz kein eigentlichen Verfassungsgericht. Theoretisch stört mich das. Gleichwohl stimmte ich mit der Mehrheit des Ständerates gegen die Einführung eines Verfassungsgerichts. Denn: Schliesslich geht es um ein ausgewogenes Verhältnis der Gewalten im Rechtsstaat: Mit unseren direkten Wahlen, den Volksrechten, dem kollegialen Regierungssystem und einem ausgebauten Zweikammersystem (mit gleichberechtigtem Stände- wie Nationalrat) stimmt in der die Schweiz diese Balance. Und für den Schutz der Grundrechte wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

«Teilweise Heiterkeit»

Bei der Diskussion um diese Verfassungsgerichtsbarkeit bekannte manch ein Redner seinen Meinungsumschwung im Verlauf der Jahrzehnte: Häufig waren (wie auch ich) jüngere Geister der Einführung eines Verfassungsgerichts zugeneigt; dieselben wurden im Lauf der Zeit erfahrener und etwas pragmatischer und äusserten sich nun ablehnend. Einem vehementen Gegner der Verfassungsgerichtsbarkeit, dem heute 63-jährigen Appenzeller Ständerat Daniel Fässler wurde dieser Meinungswechsel entgegengehalten. So hatte er sich in jungen Jahren in seiner Doktorarbeit klar für diese Gerichtsbarkeit ausgesprochen: «Wer hat nun recht: Fässler der Jüngere oder Fässler der Ältere? ….», meinte genüsslich der Votant, der Glarner Ständerat Zopfi, der die Motion zur Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit eingereicht hatte. Das erzeugte natürlich Schmunzeln im Saal, was im Wortprotokoll wie folgt wiedergegeben wird: «Teilweise Heiterkeit».

Reisefreudiges Parlament: Ticino und Romandie

Die strenge Session wurde aufgelockert und angereichert mit Reisen: Jeden Mittwochnachmittag waren die Räte unterwegs: Zuerst ins Tessin zur (nachgeholten) Feier des Bundespräsidenten Cassis. Der Tradition folgend, dass der SBB-Ehrenzug im ersten Bahnhof des präsidialen Heimatkantons anhält, fuhren wir über die alte Gotthard-Strecke nach Airolo. Dort nahm der Bundespräsident die Grüsse der dortigen Behörden und die Klänge der Fanfara entgegen. Dieselbe Szenerie dann in Biasca, Bellinzona und Lugano. Die Romandie war dann Ziel der traditionellen Reise mit dem Ständeratspräsidenten und unseres Fraktionsausfluges, also der parlamentarischen Schulreisen. Zwar bedeuten solche Reisen in Süden und Westen des Landes kurze Nächte, aber auch lange Gelegenheiten, ausserhalb des Bundeshauses miteinander ins Gespräch zu kommen und einander über die Partei- und Kantonsgrenzen hinaus als Menschen zu erfahren.

Haben Sie Fragen, Anliegen oder Kritik? Gerne stehe ich Ihnen Red und Antwort.