#StänderatMichel – Politik und Anekdoten
Schon ist die zweite Session hinter Plexiglasschutzwänden und mit Masken im Bundeshaus vorüber. Und schon haben wir uns beinahe daran gewöhnt. Nicht aber daran, dass die Zwischenräume fehlen, wo wir uns üblicherweise mittags oder abends treffen, um «Zwischenlösungen» zu diskutieren. Gleichwohl gibt es neben den «harten» politischen Berichten in meinem aktuellen Newsletter wiederum Zwischentöne und -geschichten.
Samstagsgespräch
Am Samstag, 19. Dezember von 11 – 12 Uhr lade ich ein zum digitalen Samstagsgespräch mit Aktuellem und Anekdoten aus der Wintersession. Im Online-Meeting berichte ich von den Geschäften, Abstimmungen und Ereignissen. Danach ist das Samstagsgespräch auch offen für Fragen und Diskussionen unter den Teilnehmenden. Das Gespräch findet Online statt. Hier findet sich der Link dazu.

Durchbruch beim Start
Gleich zum Auftakt der Session endlich ein Durchbruch für die «Ehe für alle»: Wie der Nationalrat hat auch der Ständerat die gesetzlichen Anpassungen genehmigt, die das Ehe- und Familienrecht ebenso für gleichgeschlechtliche Paare öffnet. Es galt, verfassungsrechtliche Bedenken zu überwinden: Nach einer gewichtigen Minderheit müsste die Ehegarantie in der Bundesverfassung angepasst werden. Zusammen mit der Mehrheit des Ständerates sehe ich das anders: «Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet.» Dieser Wortlaut in der Verfassung umschreibt das Recht auf Ehe geschlechterunabhängig. Motiviert durch Gespräche am Familientisch bringe ich dies in meinem Votum zum Ausdruck.
Reduktion von Geschäftsmieten
Ich hatte mich schon gegen den Auftrag an den Bundesrat gewehrt, den Vermietern eine Mietzinsreduktion von 60% für zwei Monate aufzuerlegen. Nun ist der Bundesrat diesem Auftrag des Parlaments nachgekommen; dieses versenkt aber den Vorschlag definitiv. Zwar spät, aber immerhin, denn: Durch den rückwirkenden Eingriff in private Vertragsverhältnisse hätte der Bund fundamentale Rechte wie die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie in Frage gestellt. Selbst in der Zürcher Tageszeitung, die in der Regel linken Ideen nicht abgeneigt ist, lese ich einen deutlichen Kommentar: «Es ist das erste Mal in dieser Pandemie, dass das Parlament auf die Bremse tritt – und das ist gut so. Wir bewältigen die Krise seit bald neun Monaten mit Milliarden Franken an Kurzarbeitsentschädigungen, Erwerbsersatzzahlungen, Härtefallhilfen und Krediten. Das war und ist immer noch richtig. Aber eine einzelne, zugegebenermassen nicht besonders beliebte Branche – die Vermieter von Geschäftsliegenschaften –, willkürlich herauszupicken, war von Anfang an eine reichlich populistische Idee von SP und Grünen.» («Das war keine gute Idee», Dominik Feusi, Tagesanzeiger, 2.12.20).


Traumdeutung
Wenige Tage vor Beginn der Wintersession hatte ich einen Traum: Nach längerer Zeit betrat ich wieder das Bundeshaus, aber nicht durch den Haupt-, sondern durch den Besuchereingang. Ich hielt meinen Badge an den dafür vorgesehenen Apparat. Statt dass sich wie üblich die Türe öffnete, wurde mein Badge eingezogen – und stattdessen ein papierenes Eintrittsticket ausgespuckt. Mein Badge blieb verschwunden und musste erneuert werden. Zwecks Identifikation gab ich meinen Reisepass ab, der umgehend auch eingezogen und erneuert wurde, jedoch mit Schwierigkeiten, da ich offenbar eine andere Unterschrift als früher verwendete. Und der neue Pass hatte eine eigentümliche Form. Immerhin kam ich nach einigen bürokratischen Hindernissen wieder ins Haus. Meine Traumdeutung oder Lehre aus der geträumten Geschichte: Dem Bundeshaus nicht zu lange fernbleiben!
Fair-Preis-Initiative: Unfair für das Schweizer Gewerbe
Mit der Initiative «Stopp der Hochpreisinsel – für faire Preise» («Fair-Preis-Initiative») wird den vergleichsweise hohen Schweizer Preisen der Kampf angesagt. Diese Initiative ist verfänglich, verspricht sie doch tiefere Preise für Konsumentinnen und Konsumenten. Und die Mehrheiten in National- und Ständerat wollen wesentliche Teile dieser Initiative nun direkt mit einem Gegenvorschlag ins Gesetz schreiben. Dazu braucht es eine Vielzahl neuer Regulierungen gegen mächtige Unternehmen (Anpassung des Kartellgesetzes). Es bleibt unsicher, ob damit die Preise sinken; sicher vermehrt wird dagegen das Juristenfutter. Was mich sehr stört, ist die Forderung (der Initiative und des Gegenvorschlages), dass man den Schweizer Konsumenten beim Onlinevertrieb dieselben (tiefen) Preise wie im Ausland anbieten muss (sog. Verbot des Geoblockings). Das ist geradezu eine Aufforderung und ein Anreiz, online im günstigeren Ausland einzukaufen! Dies im Wissen darum, dass unser Schweizer Gewerbe vor allem in den Grenzkantonen schon heute unter dem Auslandshopping leidet. Und ich staune noch mehr, wenn ich unter den Initianten (und damit Befürwortern der ausländischen Onlineangebote) Präsidenten von Gewerbevereinen erkenne sowie SVP-Vertreter, die immer von sich behaupten, die Schweiz zu stärken.


Echte Entlastung durch Aufhebung der Industriezölle
Eine echte Senkung der Einkaufspreise erreicht man dagegen durch die vom Bundesrat vorgeschlagene Aufhebung der Industriezölle. Heute verursachen Zollabgaben nicht nur finanzielle Belastungen für Schweizer Unternehmen, sondern auch hohen administrativen Aufwand. Der Bundesrat hat diese Entlastung noch vor der Corona-Krise vorgeschlagen; sie kommt nun aber gerade richtig und wird unseren Unternehmen beim Wiederaufschwung helfen. Der Ständerat hat diesem Vorschlag zugestimmt – nun ist der Nationalrat aufgefordert, Gleiches zu tun.
Leidenschaft für Velo, Oldtimer und Malerei
Inzwischen kenne ich viele Personen, die uns zu Diensten stehen, sei es für Speis und Trank im hauseigenen Restaurant «Des Alpes» oder für das reibungslose Funktionieren unserer Sitzungsorganisation. Da gibt es Sekretäre, Protokollführerinnen, Weibelinnen und Weibel. Gerade die Letztgenannten sind sehr dienstfertige und loyale Personen, die in ihren grün-schwarzen Weibeluniformen kaum Persönliches preisgeben. Doch im Verlauf eines Jahres kommt man mit der einen oder anderen Person ins Gespräch und entdeckt Interessantes: Ein Weibel aus dem Kanton Wallis ist ein angefressener Velofahrer und erzählt von seiner Alpenetappe: mehr als 400 km und über fünf Alpenpässe – in einem Tag. Sein Kollege ist Fan von älteren Rennautos: Er fährt diese, verbringt aber mehr Zeit mit deren Wiederaufbau und Reparatur. Eine Weibelin entpuppt sich als begabte Malerin – sie hat alle Ständeratsmitglieder porträtiert. Ein Beispiel davon finden Sie abgebildet.


Neue Agrarpolitik?
Es kann passieren, dass das Parlament für einen Nichtentscheid zwei Stunden Beratung benötigt. So geschehen bei der Weiterentwicklung der Agrarpolitik «AP 22+». Als Sprecher der zuständigen Kommission bringt es mein Zuger Kollege Peter Hegglin auf den Punkt: «Die AP22+ bietet der Landwirtschaft keine langfristige Perspektive und Zielsetzung und ist in der aktuellen Fassung unausgereift.» Danach folgen viele und lange Voten, jedenfalls kontroverse, bis der Rat befindet, die Vorlage des Bundesrates sei nicht reif für die Beratung. Mittels eines Auftrages wird eine neue, umfassendere Landwirtschaftsstrategie, ja geradezu ein Paradigmenwechsel gefordert. Kritisch meint unser Solothurner Kollege Roberto Zanetti: «Meint jemand im Ernst, dass wir innerhalb von zwei Jahren eine Neuerfindung der Agrarpolitik haben werden? Dann glaubt er wirklich an den Storch und an den Weihnachtsmann.» Ich selber stimme mit der Mehrheit für eine Neubearbeitung der Agrarpolitik, da wir an einer Schwelle stehen: Das Volk will verstärkte Eigenversorgung und somit eine erhöhte eigene landwirtschaftliche Produktion; der Klimawandel und ökologische Anforderungen erfordern Anpassungen. Und bei alledem wollen wir die Landwirtschaft als Teil einer produzierenden Wirtschaft verstehen.
Importierte Nahrungsmittel: Deklarieren statt verbieten
Wir kennen die Qualitätsstandards der in der Schweiz produzierten Nahrungsmittel. Ausländische Produkte sind oft nicht nach unseren Regeln hergestellt worden. Soll man deswegen den Import verbieten? Mitnichten. Aber als Konsument möchte ich wissen, ob ausländische Nahrungsmittel in der Produktion die schweizerischen Regeln einhalten oder nicht. Diese Transparenz ist wichtig, um erstens den Konsumierenden eine echte Wahlfreiheit zu geben und um zweitens Schweizer Produzenten, die oft teurer und nach Schweizer Standards herstellen, nicht zu benachteiligen. Deshalb habe ich mich in meinem Votum als Kommissionsprecher aktiv für eine Deklarationspflicht eingesetzt.


Von Baumwanzen, Japankäfern und Bananenschmierläusen
Zuweilen begibt sich das Parlament tief in die Tier- und Pflanzenwelt. Das tönt dann etwa so (aus dem Votum des Kommissionspräsidenten zur Motion «Forschung im Bereich der Marmorierten Baumwanze»): «Das Problem mit den marmorierten Baumwanzen betrifft aber auch Privatgärten und alle Wohnungs- und Hausbesitzer. In Kombination mit anderen eingeschleppten Schädlingen wie dem Japankäfer, der Bananenschmierlaus oder dem sich nähernden Feuerbakterium kann dies für unsere Spezialkulturen existenzbedrohend sein.» Aufgrund des grossen Schadenspotenzials beschäftigen solche Themen auch das Parlament. Es geht aber nicht (mehr) um Bekämpfung durch Chemie, sondern durch verstärkte Forschung und Innovation in der Schädlingsbekämpfung. Übrigens: Schweizer Unternehmen bieten heute innovative Landwirtschaftsmaschinen, die dank Digitaltechnik Umweltbelastungen reduzieren, etwa dank gezieltem Einsatz von Pflanzenschutz. Für solche intelligenten Anwendungen braucht es die 5G-Technologie.
FDP.Die Liberalen für Transparenz in der Politikfinanzierung
Transparenz ist ein positiv besetzter Begriff. Gleichwohl muss man aufpassen, dass der Schutz der Privatsphäre und Berufs- und Amtsgeheimnisse möglich bleiben. Initiativen für verstärkte Transparenz in der Politikfinanzierung haben auf kantonaler Ebene Erfolg gehabt. Es kann aber nicht einfach darum gehen, Spenden an Parteien offenzulegen, sondern generell um substanzielle Finanzierungen von Unterschriftensammlungen und Politpropaganda. Wenn schon Transparenz, dann gilt das nicht nur für Parteien, sondern ebenso für Komitees, die politische Kampagnen führen. Unter diesem Titel setzt sich die FDP für einen griffigen Gegenvorschlag zur Volksinitiative für «Mehr Transparenz in der Politikfinanzierung» ein. Interessanterweise war die FDP im Nationalrat hier allein. Im Ständerat ist es anders: Wir als sogenannte «Chambre de réflexion» haben einen Gegenvorschlag entworfen und fordern den Nationalrat heraus, uns zu folgen.


Pflege des Kulturerbes ist hoch aktuell
Als ehemaliger Regierungsrat habe ich das Ohr nahe bei den Kantonen. Ihr Anliegen, dass die Schweiz eine gemeinsame Politik des Kulturerbes (auch «Memopolitik» genannt) definiert, habe ich aufgenommen und auch die Unterstützung in unserer Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur gefunden. Unsere entsprechende Motion «Konzept zur Pflege des Kulturerbes der Schweiz» wurde vom Bundesrat positiv entgegengenommen und vom Ständerat einstimmig unterstützt. Unsere Überzeugung brachte ich in meinem Votum zum Ausdruck: Unser gemeinsames Kulturerbe und unsere Traditionen sind ein wichtiges Fundament für unsere Gemeinschaft und unser Zusammengehörigkeitsgefühl. Diese zu stärken, ist aktueller denn ja. Und zwar wegen Entwicklungen wie Internationalisierung, neue weltpolitische Spannungen, Immigration, Multikulturalität, Digitalisierung. In diesem Umfeld brauchen wir Orientierung bei unseren kulturellen und geschichtlichen Werten und Traditionen.