#StänderatMichel – Politik und Anekdoten

Trotz Winterzeit herrscht Tauwetter: Etwa bei den Sozialversicherungen, die das Parlament definitiv aus der Winterstarre erlöst hat: Die Revisionen von AHV und BVG kommen voran, dringend nötig. Derweil gefriert der Bundesplatz – und wo sonst Wasserfontänen die Kinder erfreuen, kurven diese nun auf der traditionellen Eisbahn, die jeweils vor dem Bundeshaus errichtet wird. Glatteis drinnen wie draussen, könnte man sagen.

Samstagsgespräch

Am Samstag, 18. Dezember von 11 – 12 Uhr lade ich ein zum Samstagsgespräch mit Aktuellem und Anekdoten aus der Session. Online berichte ich von den Geschäften, Abstimmungen und Ereignissen. Danach ist das Samstagsgespräch auch offen für Fragen und Diskussionen unter den Teilnehmenden.

Bundeshaus in Frauenhand

Unübersehbar waren sie, Dutzende von kreativen Frauenfiguren, die in den vergangenen Monaten das Bundeshaus bevölkerten. Es handelt sich um ein nationales Kunstprojekt, an dem 67 Künstlerinnen teilgenommen haben – zur Erinnerung an die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen vor 50 Jahren. Auch am Bundeshaus sind Frauen sehr präsent, als Figuren zur Symbolisierung der politischen Unabhängigkeit, der Legislative und der Exekutive, ebenso wie von Freiheit und Frieden. Mittlerweile ist die Frauenvertretung in der Bundesversammlung auf 40 Prozent angewachsen, gut so! Derzeit ist Nationalratspräsidentin Irène Kälin die höchste Schweizerin – und auf den Stühlen des Vizepräsidiums des Ständerats sind Frauen bereit, um ab Dezember 2022 während dreier Jahre den Ständerat zu präsidieren. Die Selbstverständlichkeit, dass Frauen im Rat präsent und auch als Führungspersonen aktiv sind, ist wohltuend.

AHV-Finale und BVG-Start

Frauen standen auch im Zentrum der Reform «AHV 21»: Die Erhöhung deren Rentenalters auf 65 Jahre bringt die Gleichstellung mit den Männern. Diese musste aber errungen werden: Die Erhöhung des Rentenalters wird mit grosszügigen Übergangsentschädigungen abgefedert. Eigentlich müsste das eine auch für das Volk akzeptierbare Vorlage sein. Dies im Hinblick darauf, dass die SP und die Grünen schon präventiv das Referendum angekündigt haben – schade, dass ein hart errungener Kompromiss nicht akzeptiert werden kann. Einen guten Start erwischte die Revision der Beruflichen Vorsorge (BVG): Der Nationalrat hat hier die mit Zuschlägen überladene Vorlage des Bundesrates entschlackt.

Schweiz in den UNO-Sicherheitsrat

Auch die zwei Monate zwischen den Sessionen sind intensiv: Wöchentlich finden Kommissionsitzungen statt. Und die aussenpolitische Kommission pflegt auch die Tradition von Auslandreisen, wobei jeweils nur eine kleine Delegation auf die Reise geht, diesmal in die USA. Ein Hauptziel war das UNO-Hauptquartier in New York. Neben dem Besuch der Schweizer Mission konnten wir mit Vertreterinnen und Vertretern vieler Staaten sprechen, die wie die Schweiz auch Kleinstaaten sind, sich aber in der UNO stark engagieren, zum Beispiel im Sicherheitsrat. Dieser Erfahrungsaustausch war wichtig im Hinblick auf die Einsitznahme der Schweiz im Sicherheitsrat 2023/24. Er hat mich bestärkt in der Überzeugung, dass die Schweiz eine wichtige Rolle spielen kann im Sicherheitsrat – gerade wegen unserer Glaubwürdigkeit als neutraler Staat mit seinen guten Diensten und seiner humanitären Tradition. Die UNO setzt sich weltweit für dieselben Werte ein wie die Schweiz. Unsere Tätigkeit im Sicherheitsrat wird entsprechend wertvoll sein.

Hungerstreik auf dem Bundesplatz

Zurück in die Schweiz, treffe ich zum Sessionsauftakt auf eine neue Realität: Ein friedlicher Bürger sitzt tagelang hungerstreikend auf dem Bundesplatz. Das lässt mich nicht kalt: «Man kann hier nicht nicht reagieren», sage ich einem Journalisten. Ich bin vor die Frage gestellt, ob der Staat hier eine Mitverantwortung am Wohlergehen dieses Mannes trifft – und er auf seine Forderungen eingehen soll. Er verlangt eine Sondersitzung des Parlaments, um sich mit den internationalen Berichten zu Klimaveränderung zu befassen. Da ich mit ihm ins Gespräch gekommen war, wurden auch die Medien auf mich aufmerksam. Eine entsprechende Medienanfrage verhalf mir auch zu Antworten auf rechtliche wie moralische Fragen.


Innovation in der Nahrungsmittelproduktion

Wenn man nicht mehr weiter weiss oder keine Risiken eingehen will, verhängt man ein Moratorium: Man unterbricht eine Entwicklung, so geschehen in der Schweiz mit der Nutzung der Atomkraft und der Entwicklung von gentechnischen Verfahren. Wohlgemerkt gelten solche Stillstände dann nur für die Schweiz; anderswo auf der Welt wird fröhlich weitergeforscht, angewendet und vermarktet. Dabei steht gerade die Schweiz für höchste Sicherheit. Deshalb ist es gerade bei uns angezeigt, dass wir auch den neuen Möglichkeiten der Gentechnologie eine Chance geben; diese sind präziser und weniger einschneidend als die klassische Gentechnik. Und auch als klassische, heute erlaubte Züchtungen, bei welchen mit Atomstrahlung und Chemikalien gearbeitet wird. Deshalb setze ich mich mit der Mehrheit des Ständerats für eine sorgfältige Weiterentwicklung neuer gentechnischer Verfahren ein, unter strengen Auflagen. Auch, damit unsere Landwirtschaftsproduktion weniger Pestizide benötigt und gleichwohl die Anliegen nach erhöhter Eigenversorgung ermöglichen kann.

Oberste Aufsicht

Dass ein Parlament Gesetze berät und Geldmittel (Budgets) beschliesst, ist bekannt. Weniger verbreitet ist die Kenntnis, dass ein Parlament als oberste Gewalt im Staat (unter Vorbehalt von Volksentscheiden) auch eine Aufsicht wahrnimmt: Die Oberaufsicht über Bundesrat und Gerichte. Es ist dies eine wichtige Aufgabe im Rahmen der institutionellen Ordnung. Entsprechend freue ich mich, dass ich zum Präsidenten der ständerätlichen Geschäftsprüfungskommission (GPK) gewählt worden bin und für zwei Jahre als «oberster Aufseher» amten kann. Im Interview mit der Zuger Zeitung erläutere ich die Bedeutung dieser Institution.

Herausforderung China

Schon in der letzten Session war China ein Thema, nun wieder: Das Parlament hat definitiv die Herausforderungen dieser wirtschaftlichen und zunehmend politischen Grossmacht entdeckt. Es geht zum Beispiel darum, die universell geltenden Menschenrechte auch gegenüber China einzufordern. Das ist ein Teil der China-Strategie des Bundesrats. Diese ist zu unterstützen, ohne dass das Parlament dem Bundesrat im Detail vorschreibt, wie er seine Verhandlungen zu führen hat; hier bestehen zum Teil nicht zielführende Vorstellungen, die ich als Sprecher der aussenpolitischen Kommission ablehne (Votum). Ebenso sollte sich das Parlament zurückhalten, wenn es dem Bundesrat in die Verhandlungsführung gegenüber China dreinredet, was ich als Sprecher einer Kommissionminderheit zum Ausdruck bringe.

Persönlichkeiten

Während der drei Sessionswochen ist das Leben ausserhalb des Bundeshauses ebenso rege wie dasjenige drinnen: Neben diversen Informationsveranstaltungen zu anstehenden Themen (mir passt dieser neutrale Titel besser als «Lobbyismus») besteht auch die Chance, Persönlichkeiten kennenzulernen, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geprägt haben. So denke ich an die ETH-Professorin Sonia Seneviratne, an den Chinakenner Dr. Uli Sigg und an den kritischen Denker Roger de Weck. Diese Persönlichkeiten entstammen ganz unterschiedlichen Bereichen und haben je unterschiedlich gewirkt: Sonia Seneviratne als anerkannte Klimawissenschafterin, Uli Sigg als Vertreter der Schweizer Wirtschaft und der Diplomatie in China, Roger de Weck als Journalist, Chefredaktor und Generaldirektor der SRG. Was ist allen gemeinsam? Die Fähigkeit zur Reflexion und Analyse. Und darauf gestützt zur unaufgeregten Darstellung ihrer Erkenntnisse. Sie drängen diese uns nicht auf, sie belassen dabei dem Zuhörer oder der Zuschauerin den Freiraum, eigene Schlüsse oder Konsequenzen zu ziehen.

Demokratiepolitische Gedanken

«Solange die Frauen nicht stimmen können, ist die Schweiz keine Demokratie» war ein Slogan im Hinblick auf die Volksabstimmung 1971. Er macht uns bewusst, dass selbst die Schweiz, die sich als eine der ältesten Demokratien der Welt rühmt, lange keine vollständige Demokratie war. Und dieses Bewusstsein mag uns heute überlegen lassen, wie vollständig unsere Demokratie ist. Ob wir zum Beispiel auch junge Schweizerinnen und Schweizer vor dem 18. Altersjahr und schon lange niedergelassene Ausländerinnen und Ausländern an der politischen Mitwirkung in unserem Staat mitbeteiligen lassen. Es muss nicht immer das volle Stimm- und Wahlrecht sein; es gibt auch andere Formen der Mitbeteiligung. Es gibt zum Beispiel in deutschen Städten Ausländerräte, die auf gemeindlicher Ebene eine beratende Funktion haben. Die Schweiz hat mit rund 25 Prozent einen relativ hohen Anteil an ausländischer Wohnbevölkerung. Aus diesem Kreis engagierte Leute für eine Mitverantwortung in unserem Staat zu gewinnen, wäre eine Chance. Auf dem Weg zu ihrem Schweizerbürgerrecht – nicht erst, wenn sie es dann erhalten haben.

Die Goldene aus Zug

Zum Abschluss dieses Newsletters schliesse ich den Bogen zum Anfang: Einer der im Bundeshaus präsenten Figuren ist «die Goldene», eine Frauenfigur, geschaffen durch die Zuger Künstlerin Esther Löffel. Die Gleichstellung ist mit dem Couvert und dem Gleichheitszeichen symbolisiert. Und zur Farbe Gold meint die Künstlerin, dass dies die Farbe mit der grössten Energie und Strahlkraft sei – und diese Energie seit nötig, um das Werk der Gleichstellung weiterzuführen (Zuger Presse vom 20.10.2021).

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