#StänderatMichel – Politik und Anekdoten

Es gibt Sessionen, die plätschern vor sich hin… ohne grossen Wurf. Das hat sich bereits im September geändert, als das Parlament wichtige Entscheide zur Ausbau der Solarkraft gefasst hat. Ebenso nun in der Wintersession: Der Ständerat hat für die Reform der beruflichen Vorsorge und für die Finanzierung des Gesundheitssystems entscheidende Weichen gestellt. Beide Räte beschlossen sodann, wie innenpolitisch die neuen OECD-Vorgaben für die Besteuerung grosser Unternehmen bewältigt werden sollen. Besonderer Höhepunkt war die Wahl von zwei neuen Bundesratsmitgliedern: So viel Getöse dies medial im Vorfeld ausgelöst hat, so geordnet wurde schliesslich unsere Regierung ergänzt.

Samstagsgespräch

Am Samstag, 17. Dezember von 11–12 Uhr lade ich ein zum Samstagsgespräch mit Aktuellem und Anekdoten aus der Session. Im Restaurant Brandenberg in Zug berichte ich von den Geschäften, Abstimmungen und Ereignissen. Danach ist das Samstagsgespräch offen für Fragen und Diskussionen unter den Teilnehmenden.

Zibelemärit

Am ersten Sessionstag empfängt uns Bern mit dem traditionellen Zibelemärit. Das Treiben rund um die Zwiebel ist vielfältig; es kommt mir vor wie eine Mischung von Chilbi, Fasnacht und Zugermesse. Alles kompakt während zwölf Stunden. Besonderes Treiben auch im Bundeshaus, wo als wichtigste Tagesgeschäfte die Wahlen der Ständeratspräsidentin und des Nationalratspräsidenten anstehen. Da die jeweiligen Vize das Präsidium übernehmen, gibt es keine Überraschungen, dafür umso mehr Huldigungen von Regierungsräten der Herkunftskantone, Lieder von fahnenschwingenden Kindern, Blumen und Apéros: Festhaus Bundeshaus.

Föderalismus statt Zentralismus und Steuerharmonisierung

Die Schweiz kann sich nicht dagegen wehren, dass über Vorgaben der OECD eine internationale Steuerharmonisierung im Gang ist: Grosse multinationale Unternehmen werden voraussichtlich einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent entrichten müssen. Nur durch Anpassungen im Schweizer Recht können wir dafür sorgen, dass diese Steuerträge in der Schweiz bleiben. Bundesrat und Kantonsregierungen haben nun einen vernünftigen Kompromiss vorgelegt. Getrieben von Linksparteien wollte der Nationalrat zuerst mit Unterstützung der Mitte die Hälfte der erwarteten Mehrerträge dem Bund zuhalten, obwohl auf kantonaler Ebene der steuerliche Standortfaktor betroffen ist. Entsprechend müssen die Kantone, vor allem auch Zug, Massnahmen finanzieren, um die (erzwungenen) Steuererhöhungen abzufedern. Mit einer erhöhten Abschöpfung dieser Mehrsteuern durch den Bund soll gemäss einer Forderung von Links zum Beispiel die familienexterne Kinderbetreuung staatlich finanziert werden. Hier wird der Mechanismus offensichtlich: Eine ureigene Aufgabe von Gemeinden und Kanton soll verstärkt vom Bund finanziert werden. Das kann nur befürworten, wer mehr Zentralisierung, weniger Föderalismus und mehr Steuerharmonisierung will. Ich kämpfe in meinem Votum dagegen, zusammen mit anderen Föderalisten. Am Schluss mit Erfolg: Die Zuteilung von 75 Prozent der Ergänzungssteuer an die Kantone gemäss Vorschlag des Bundesrates hat Bestand. Hoffentlich dann auch in der Volksabstimmung.

Verloren im Raum

Ich beteilige mich an einer der Impfaktionen. Doch die Covid-Spritze verzögert sich, weil mich das digitale System nicht kennen will. Da nützen persönliche Daten, AHV- und Krankenkassennummern und bisherige Impfausweise nichts: Meine Personendaten sind offenbar in der digitalen Gesundheitsdatenbank verloren gegangen und ich beantworte zum x-ten Mal die Frage, ob ich allergisch oder schwanger sei. Der Kanton Zug sei halt nicht dieser Datenbank angeschlossen, wird mir erklärt. Umso berechtigter sind unsere parlamentarischen Forderungen nach der nationalen Digitalisierung von Patienten- und Gesundheitsdaten. Verloren bin ich jedoch nicht nur im digitalen Raum, sondern auch im physischen: Da der Eingangscode zum Bundeshaus, der nachts benötigt wird, nicht funktioniert, kann ich nach einem Abendanlass mein Gepäck nicht abholen und stehe etwas verloren da. Derweil betrachte ich den leeren Bundesplatz – die letzte Zwiebel ist verkauft.

Epochaler Entscheid in der Gesundheitsfinanzierung

Das Schweizer Gesundheitswesen ist hochstehend, aber in seiner Finanzierung komplex. Dessen Kostenwachstum wird seit Jahren beklagt, aber an die Ursache wagt sich niemand recht, da zu viele Interessen im Spiel sind; notabene auch diejenigen der Patientinnen und Patienten, die alle an der hohen Qualität teilhaben wollen, diese gleichzeitig aber nicht über Prämienerhöhungen bezahlen wollen. Es erscheint hier verlockender, die Kosten über die Steuern zu decken. Der Ständerat hat nun einen epochalen Entscheid gefällt, der hoffentlich positive Auswirkungen haben wird: Es soll keinen Unterschied mehr machen, ob eine Operation ambulant oder stationär in einem Spital durchgeführt wird. Die Grundsätze der Finanzierung sollen dieselben sein (sog. einheitliche Finanzierung). Da dies die Kantone mehrbelasten wird, haben wir im Gegenzug auch die (bisher durch Kantone finanzierten) Pflegekosten in dieses Finanzierungssystem aufgenommen. Nach dem Motto: Wenn schon einheitlich, dann über alle Kosten des Gesundheits- und Pflegesystems hinweg. In dieser Kombination konnte ich die Vorlage auch unterstützen. Da bei derart gewichtigen Entscheiden Unsicherheiten über die Auswirkungen betreffend Kostenverschiebungen und Prämien verbleiben, ist es richtig, dass der Ständerat gleichzeitig eine Überprüfung der Kostenneutralität vorsieht.

Klimaschutz global

Langsam wir uns bewusst, dass das von der Weltgemeinschaft definierte Ziel einer maximalen weiteren Erderwärmung um 1.5 Grad nicht erreichbar sein wird. Vor diesem Hintergrund erstaunte der Kommissionantrag, den Schweizer Beitrag an den globalen Klimafonds einzufrieren. Ich setzte mich dafür ein, dass die Schweiz – zusammen mit den anderen wirtschaftsstärkeren Ländern – ihren Bekenntnissen nach globalen Massnahmen nachkommt und die entsprechenden Mittel spricht. Nach anfänglicher Ungewissheit sieht das die klare Mehrheit unseres Rates auch so. Gerade der geringe Einfluss eines kleinen Landes auf die weltweiten Emissionen gebietet, dass wir uns auch aussenpolitisch engagieren. Und dies nicht nur, wenn es um den Freihandel geht, sondern auch wenn der Klimaschutz gefragt ist. Dafür setze ich mich mit meinem Votum ein – und der Ständerat sieht dies mehrheitlich auch so.

Reisen erweitern den Horizont

Jährlich feiert das Parlament die Wahl der Präsidien von Bundesrat, National- und Ständerat mittels einer Reise in den jeweiligen Heimatkanton der Gewählten. Ich reise mit der neugewählten Ständeratspräsidentin Brigitte Häberli-Koller, unter anderem an ihren Wohnort, deren Namen uns bisher unbekannt war: Bichelsee-Balterswil, eine Gemeinde, die «ihrer» Präsidentin kurzerhand das Ehrenbürgerrecht verleiht. Solche Reisen bezeugen die Verankerung unserer Behörden in der Bevölkerung. Eine Reise anderer Art unternehme ich als Mitglied einer sechsköpfigen Delegation der aussenpolitischen Kommission. Das dichte dreitägige Programm in Berlin umfasste acht offizielle Treffen mit Mitgliedern des Parlaments, des Kanzleramts beziehungsweise von Ministerien, zwei Arbeitsessen mit Gästen aus Wirtschaft und Kultur sowie zwei Treffen mit Schweizer Unternehmern. All das hilft, einerseits die guten Beziehungen zum Nachbarland Deutschland zu pflegen, andererseits die deutsche Sichtweise auf unser Land kennenzulernen und besser zu verstehen. Und die deutsche Sichtweise auf Deutschland selber lernten wir auf unterhaltsame Art kennen: durch ein Politkabarett mit dem sinnigen Titel «Nachts im Bundestag – Politiker am Rande des Wahnsinns».

Berufliche Vorsorge: Keine Umverteilungsmaschine

Nachdem mit der letzten Volksabstimmung das Finanzierungsproblem der AHV mindestens mittelfristig gelöst worden ist, ist nun die Revision der beruflichen Vorsorge (BVG) an der Reihe. Unbestrittenes Anliegen ist auch, dass Personen mit tiefen Löhnen vor allem im Teilzeitbereich bessergestellt werden müssen, indem durch die Reduktion des Koordinationsabzuges ein grösserer Teil des Lohnes versichert wird. Ziemlich unbestritten ist, dass der heutige Umwandlungssatz von 6.8 % viel zu hoch ist – damit wird den BVG-Rentenbezügerinnen und -bezügern mehr ausbezahlt, als dass sie mit ihrem Kapital erwirtschaften können. Mit der Reduktion des Umwandlungssatzes auf 6 % gibt es im Durchschnitt tiefere Renten. Ein totaler Ausgleich dafür kann nicht geleistet werden, sonst würde das BVG zu einer Umverteilungsmaschine, was es eben nicht ist. Dass die Einbrüche für die Übergangsgeneration abgefedert werden, steht für mich ausser Frage. Die Reform wird von links und aus Gewerbekreisen kritisiert. Das kann einerseits ein Misserfolgsfaktor sein, andererseits zeigt es, dass für eine ausgewogene Lösung beide Seiten, Arbeitgebende wie -nehmende, ihren Beitrag leisten müssen.

Auch Daten können dank Recycling besser genutzt werden

Im 20. Jahrhundert entstanden die grossen nationalen Verkehrsinfrastrukturen. Im 21. Jahrhundert sollte Analoges für die Dateninfrastruktur entstehen, quasi ein Binnenmarkt für Daten. Was beim physischen Verkehr Knotenpunkte und Verkehrsdrehscheiben sind, stellen im digitalen Bereich Datenräume dar. Es geht um Hubs, welche den Zugang zu Daten ermöglichen – und dies für andere als die ursprünglichen Zwecke: In dieser Sekundärnutzung von Daten liegt das riesige Potenzial, das erschlossen und für Gesellschaft und Wirtschaft wertbringend genutzt werden soll. Aus dieser Motivation heraus habe ich über die Kommission die Motion für ein Rahmengesetz für die Sekundärnutzung von Daten angeregt. Die sorgfältige Erarbeitung dieses Vorstosses und Gespräche mit Verwaltungsstellen haben geholfen, dass der Bundesrat zustimmt und auch der Ständerat geschlossen hinter dieser Weichenstellung steht. Um das digital oft Unfassbare greifbar zu machen, greife ich in meinem Votum auf die Verkehrsinfrastruktur, auf das Recycling und die Kreislaufwirtschaft zurück.

Leuchtende blinde Flecken im Sicherheitsdispositiv

Der Vorabend der Bundesratswahl war auch im Bundeshaus speziell: Wo sonst unsere Arbeitsplätze sind, standen Kameras und Podeste, entlang unserer Trampelpfade im Haus schlängelten sich Kabel. Dazwischen viele Sicherheitskräfte, spät abends auch mit Spürhunden an der Leine. Ein Gewusel und Gewimmel. Als langsam Ruhe eintrat, traf ich noch Sicherheitsleute an. Sicherheit total. Ich sprach die Leute an und fragte, wo zur späten Stunde wohl das grösste Risiko bestünde. Sie verrieten mir das nicht, aber ich ihnen: Ich wies sie auf die noch brennenden Kerzen des adventlichen Arrangements im Ständeratssaal hin. Offenbar ein leuchtender, aber blinder Fleck im ganzen Bundeshaus.

Wie lang sind die Messer?

Ein Hauch von Bundesratswahl am Vorabend: Ich weilte mit Kollegen in der legendären Bellevue-Bar, dort wo Geschäfte angezettelt und angeblich Intrigen lanciert werden, wenn es denn solche gäbe. Die «Nacht der langen Messer» vor einer Bundesratswahl ist hier mehr Erinnerung als Aktualität: Im Durchschnitt nur alle zehn Jahre werden hier wilde Kandidaturen aufgezäumt. Erstmals bekam diese Nacht ihren Namen im Jahr 1983 bei der Wahl von Otto Stich, den man als Überraschungskandidaten hervorzauberte. Heute ist aber Feiertag: Der Jubiläumstross des neugewählten Nationalratspräsidenten zieht nach Graubünden, derjenige der Ständeratspräsidentin in den Thurgau, den Herkunftskantonen der beiden Glücklichen. Hier ein Hauch von Monarchie – wir feiern unsere ungekrönten Königinnen und Könige, die bereits bei Amtsantritt wissen, dass sie ein Jahr später, nach allen Regeln unseres demokratischen Rechtsstaates, wieder entthront werden.

Wissenschaftliche Politikberatung

Mein allererstes Postulat (Mai 2020) zeigt Früchte: In Erfüllung dieses Auftrages präsentiert der Bundesrat vier mögliche Modelle einer wissenschaftlichen Beratung der Politik (Bericht Zuger Zeitung). Das vom Bundesrat bevorzugte Modell schwebte mir auch vor: Die Bildung eines Gesamtpools von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, aus welchem dann bei Bedarf (je nach Art einer Krise) ein ad-hoc-Gremium zusammengestellt werden kann. Das Modell des Bundesrates ist auch deshalb gut, weil es erstens auf bestehenden Ressourcen aufbaut und zweitens flexibel auf Krisen aller Art ausgerichtet werden kann. Generell stellt sich die Frage des Einbezug der Wissenschaft, unabhängig von Krisen. Dieser Aspekt geht über mein Postulat hinaus, ist aber ebenso wichtig: Wie organisiert die Schweiz die sogenannte wissenschaftliche Politikberatung? Hier ist eine lebhafte und konstruktive Diskussion im Gang, an der ich mich im Austausch mit Wissenschaftsinstitutionen selbstverständlich auch beteilige.

Lob statt Geld für Zuger Innovation 

Die Lancierung des Testinstituts für Cybersicherheit ist ein innovativer Schritt des Zuger Regierungsrats, unterstützt durch den ganzen Kantonsrat mittels Genehmigung der Aufbaufinanzierung. Da Institut dem nationalen Interesse dient, konnte ich in meinem Votum mit vollem Herzen eine Motion von Nationalrat Grüter unterstützen, die eine finanzielle Beteiligung des Bundes vorschlug. Die Zuger Initiative erfuhr zwar viel Lob vom (scheidenden) Finanzminister Maurer, aber keine Zusage; vielmehr warnte er vor einer «Lex Zug». Die Mehrheit des Ständerates wollte dann der Motion und damit einer ausdrücklichen Unterstützung durch den Bund nicht zustimmen. Es war gleichwohl gut, diese Debatte zu provozieren, denn: Der Bundesrat verwies auf andere Möglichkeit, über einen neuen Gesetzesartikel gleichwohl noch zu etwas Unterstützung zu kommen. Zusammen mit der Zuger Regierung bleibe ich dran!

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