#StänderatMichel – Politik und Anekdoten
In der Herbstsession wurde mir einmal mehr bewusst, wie stark sich der durch die Medien sichtbare Teil der Parlamentsarbeit vom politischen Leben eines Parlamentsmitglieds unterscheidet. Es ist naheliegend, dass die Kameras hauptsächlich die öffentliche Beratung unter der Bundeshauskuppel abbilden. Vor und nachher passiert aber sehr viel, auch ausserhalb des Hauses. So hatte auch ich eine Vielzahl von Besprechungen und Sitzungen, um Ideen aufzunehmen, Interessen zu erkennen, Personen zu vernetzen. Vermehrt bemüht sich auch die Verwaltung um einen Austausch mit der Politik: an runden Tischen und anderen Dialogen und Plattformen wird versucht, die Erfahrungen und Meinungen aus dem Parlament und der Verwaltung zusammenzubringen. Die Schweiz hat hier ein grosses Potenzial, da wir keinen Dünkel haben und diese Gruppen einander auf Augenhöhe begegnen.
Samstagsgespräch
Am kommenden Samstag, 5. Oktober, von 11–12h, lade ich zum Samstagsgespräch zu Themen aus der letzten Session (und darüber hinaus) ein. Im Restaurant Fischerstube in der Zuger Altstadt berichte ich über Schwerpunkte. Das Gespräch ist offen für Fragen und Diskussionen für alle Interessierten – laden Sie auch Ihre Bekannten dazu ein! Angesichts der Medialisierung sind direkte Kontakte und das persönliche Gespräch wichtig.
Mehr Sicherheit mit digitaler Identität
In einer Volksabstimmung vor zwei Jahren sagte die Bevölkerung noch Nein zur Einführung eines digitalen Identitätsausweises (E-ID). Die Lehren aus dem damaligen Konzept wurden gezogen: Die Hoheit über die Ausstellung dieses Ausweises bleiben beim Staat – und es gelten strenge Sicherheitsmassnahmen. So konnte ich als Kommissionsprecher ein überzeugendes E-ID-Gesetz präsentieren, das gute Aufnahme fand. Eine Woche später fanden sich Mitglieder aus allen Fraktionen und Gruppen, um gleich eine Anwendung dieser E-ID vorzuschlagen; es war eine gute Zusammenarbeit, im konkreten Fall mit dem Freiburger Nationalrat Andrey. Ich reichte eine Motion ein, um in einem Pilotversuch das E-Collection, also das Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden, zu testen. Nachdem Unterschriftsfälschungen bekannt worden sind, erscheint eine Legitimation mit einem sicheren digitalen Ausweis verlässlicher.
Bilaterale III: Siebenjährige Testphase
Nach langen Vorsondierungen führt die Schweiz seit einem halben Jahr die eigentlichen Verhandlungen mit der EU für ein zukünftiges bilaterales Vertragswerk. Es geht um die Stabilisierung und Weiterentwicklung der Beziehungen. Für mich steht ausser Frage, dass wir als stark vernetztes Land inmitten Europas eine verlässlich Beziehung zur EU haben und diese auch für die Zukunft auf ein sicheres rechtliches Fundament stellen. Ich habe aber auch Respekt vor allenfalls nicht abschätzbaren Entwicklungen. Es ist deshalb wichtig, dass nach einigen Jahren Erfahrung mit dem neuen Vertragswerk dessen Funktionieren und Auswirkungen analysiert werden. Bundesrat und Parlament sollen nach sieben Jahren bewusst entscheiden, ob sie die Verträge aufrechterhalten wollen; und das Volk hätte mit einem fakultativen Referendum Gelegenheit zur Mitsprache. Diesen Vorschlag unterbreite ich in meiner Motion «Vertrauen schaffen in die Weiterführung der bilateralen Beziehungen mit der EU». Auch die Weiterführung der Bilateralen I wurde im Jahr 2009 an der Urne bestätigt.
Bedeutung von Bildung und Forschung
Alle vier Jahre präsentiert der Bundesrat die Kredite zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation in den Jahren 2025–2028 (sog. BFI-Botschaft). Mit rund 30 Milliarden Franken an die ETH, die kantonalen Hochschulen, die Berufsbildung, die Forschung ist dies ein bedeutendes Paket. Aber nicht nur finanziell, sondern auch zeitlich ist uns das viel wert: Nach dem Nationalrat hat der Ständerat einen halben Tag darüber beraten, bevor es dann noch zwei Mal zwischen den Räten hin und her ging bis zur sogenannten Einigungskonferenz (
Ständerätliche Schulreise
«Alle Wege führen durch Basel» – unter diesem Motto lud uns die Ständeratspräsidentin Eva Herzog zum traditionellen Ständeratsausflug nach Basel ein. Ob auf einem Schleppschiff auf dem Rhein oder in luftiger Höhe auf dem höchsten Hochhaus der Schweiz (Roche-Tower): Wir spürten, wie Wasser und Luft in Basel durch drei Länder strömen. Und der gesellschaftliche und wirtschaftliche Alltag geprägt ist vom selbstverständlichen Neben- und Miteinander von Personen und Unternehmen aus drei Ländern. Für die Region Basel wäre es entsprechend unverständlich, wenn die Schweiz die partnerschaftliche bilaterale Beziehung mit der Europäischen Union nicht festigen würde. Für mich auch. Tags darauf schilderte der Vizepräsident in träfen Worten diese Schulreise.
Individualbesteuerung: Win-win-Situation
Heute werden in der Schweiz Verheiratete und gleichgeschlechtliche Paare, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, gemeinsam besteuert. Gehen beide Personen einer Erwerbstätigkeit nach, müssen sie wegen der Progression teilweise höhere Bundessteuern bezahlen als Konkubinatspaare mit getrennten Veranlagungen. Diese Heiratsstrafe soll nun dank einer Initiative zur Einführung der Individualbesteuerung abgeschafft werden. In den Kantonen ist das Problem durch einen speziellen Verheiratetentarif gelöst. Es ist ein liberales Anliegen, dass die Ehe steuerneutral ist. Es ist höchste Zeit, dass diese Forderung auch auf Bundesebene umgesetzt wird. Indem die Erwerbstätigkeit insbesondere auch von Frauen nicht mehr steuerlich bestraft wird, stärkt diese erstens die ökonomische Situation von Familien und kommt zweitens der Nachfrage nach Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt entgegen. Eine Win-win-Situation also, die der Nationalrat mit der Zustimmung zum Gegenvorschlag, der auf Gesetzesebene die Initiative umsetzt, schafft.
Rechtsstaat steht über Ideologie
Die Schweiz rühmt sich, ein Rechtsstaat mit hohem Schutz der Grundrechte zu sein. Rechtsstaatliche Grundsätze gelten für alle Menschen und Unternehmen, auch für solche, die wirtschaftlichen Sanktionen unterliegen. In dieser Überzeugung hat der Ständerat eine Motion angenommen, welche die Rechtsberatung auch für sanktionierte Unternehmen ermöglicht. Deren Titel «Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen» gilt aber auch in anderen Bereichen, so dem Asylwesen: Einige SVP-Motionen zum Beispiel zur Einschränkung des Flüchtlingsbegriffs verletzen die Rechtsstaatlichkeit, weil sie völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz verletzen; ich konnte sie nicht unterstützen. Der Rechtsstaat gilt über Ideologie hinweg – man kann ihn nicht an einem Tag hochhalten, am anderen missachten.
Musik und Mehrsprachigkeit
Bei Geschäften in der Differenzbereinigung, die während der Session zwischen National- und Ständerat hin- und hergehen zur Findung gemeinsam getragener Entscheide, sind Kommissionssitzungen morgens um 7 Uhr üblich. Kürzlich wurde ich dafür mit Musik entschädigt: Aus dem benachbarten Zimmer ertönten Klänge aus Haydns Cellokonzert: Die Nationalrätin und Musikerin Estelle Revaz nutzt jeweils die frühen Stunden zur Vorbereitung auf ihre Konzerte. Kulturell ging es auch im Ratssaal zu und her: Am Tag der Mehrsprachigkeit bemühten sich alle darum, einige Sätze in einer anderen als der eigenen Sprache zu sprechen. So erinnerte ich in italienischer Sprache an die Vielsprachigkeit der Apostel an Pfingsten.
Aktuelle Bedeutung des Europarates
Der Europarat ist mit der Wahl von Alain Berset zu dessen Generalsekretär plötzlich wieder in den Mittelpunkt des Interesses geraten. Doch nicht nur das: Vor 75 Jahren gegründet, ist dessen Zweck, die Durchsetzung der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit, aktueller denn je. Umso wichtiger, dass sowohl National- wie auch Ständerat die von der SVP geforderte Kündigung der Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) klar abgelehnt haben. Wenige Tage später nehme ich an der Session der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Teil. Der für eine Ansprache eingeladene russische Oppositionspolitiker Vladimir Kara-Mursa bestätigt, dass nur der anhaltende öffentliche Druck und insbesondere die deutliche Kritik des Europarates gegenüber Russland zu seiner kürzlichen Freilassung geführt haben. Ein starkes Signal sendet der Europarat sodann mit der Auszeichnung der Oppositionspolitikerin Maria Corina Machado mit dem Václav-Havel-Preis: Es ist ein Zeichen gegen den Wahlbetrug in Venezuela und für faire und freie Wahlen.
Ungenügende Unterstützung für Wohnraumförderung
Ein Thema, das wir im kleinen Kanton Zug mit hoher Nachfrage an Wohnraum schon länger kennen, hat die Schweiz erreicht: Die Knappheit an (vor allem bezahlbarem) Wohnraum. Löblicherweise hatte Bundesrat Parmelin einen Runden Tisch zur Wohnraumknappheit für Lösungsansätze einberufen. Entsprechend enttäuscht war ich, als – nach der Zustimmung im Ständerat – meine Motion für den Anreiz für verdichtetes Bauen zugunsten des gemeinnützigen Wohnungsbaus vor einem halben Jahr im Nationalrat abgelehnt worden ist. Und in dieser Session hielt ich ein kritisches Votum bei der Beratung meiner Interpellation und forderte eine Korrektur beim Budget. Es steht völlig quer in der Landschaft, dass ausgerechnet jetzt die Bundesmittel für die zwei grossen Verbände des gemeinnützigen Wohnungsbaus (WOHNEN Schweiz und Wohnbaugenossenschaften Schweiz) stark gekürzt werden.
Bürgernahes Bundeshaus, offener Bundesplatz
Immer wieder freut mich, dass interessierte Bürgerinnen und Bürger, Gruppen und Schulklassen ins Bundeshaus kommen. Über allgemeine Führungen, Gruppenführungen oder Einzelanmeldungen kommt man nahe an die Beratungen in Stände- und Nationalrat heran. In der letzten Session durfte ich zwei Oberwilerinnen und eine Zugerin unter der Bundeshauskuppel begleiten – sie waren beeindruckt. Und kaum verlasse ich das Bundeshaus, treffe ich oftmals auf Schulklassen. Bereitwillig stelle ich mich jeweils den Fragen, die oft auch sehr aktuell sind. Diese Nähe zu Politikerinnen und Politikern ist eine grosse Chance, die Politik in unserem Land erfahrbar und verständlich zu machen.