#StänderatMichel – Politik und Anekdoten

Die Session begann mit trocken-warmen Spätsommertagen und endete inmitten der ersten nasskalten Herbsttage. Dies aber nur meteorologisch. Politisch gab es durchaus sonnige Lichtblicke: Die Beschleunigung des Ausbaus der Wasserkraft und ein Nein zum radikalen Abbau der SRG. Die Wolken sind primär aussenpolitischer Art: die Kriege in der Ukraine und im Gaza und die Zollpolitik des amerikanischen Präsidenten fordern auch die Schweizer Politik heraus.

Samstagsgespräch

Am kommenden Samstag, 4. Oktober, von 11–12h, lade ich zum Samstagsgespräch zu Themen aus der letzten Session (und darüber hinaus) ein. Im Restaurant Fischerstube in der Zuger Altstadt berichte ich über Schwerpunkte. Das Gespräch ist offen für Fragen und Diskussionen für alle Interessierten – laden Sie auch Ihre Bekannten dazu ein! Angesichts der Medialisierung sind direkte Kontakte und das persönliche Gespräch wichtig.

Professional Bachelors und Masters in der Berufsbildung

Eben hat das Schweizer Team an den World Skills die Goldmedaille gewonnen. Dies dank dem engagierten Einsatz unserer jungen Berufsleute, bravo! Sie werden in unserem praxisorientierten Berufsbildungssystem ausgebildet, das gute Grundbildungen und qualifizierende Weiterbildungen bietet. Es ist höchste Zeit, dieses System weiter zu stärken. Im Ständerat konnten wir ein Paket zur Stärkung der höheren Berufsbildung verabschieden. Als Kommissionssprecher konnte ich meiner und der Überzeugung der Kommission zum Durchbruch verhelfen, dass auch die Titel der Diplome und Abschlüsse aufgewertet werden müssen: Wenn auch der Nationalrat zustimmt, dürfen sich Absolventinnen und Absolventen der höheren Berufsbildung «Professional Bachelor» und «Professional Master» (je nach Art des Abschlusses) nennen, dies ergänzend zu den geschützten amtssprachlichen Abschlussbezeichnungen.

Beschleunigung braucht Zeit

Unsere Bevölkerung hat im Juni 2024 mit einem Mehr von fast 69% bestätigt, dass wir eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien wollen. Der Bau und Ausbau der damit verbundenen Wasserkraftwerke soll nach Meinung des Parlaments nun beschleunigt erfolgen. Das Vernehmlassungs- und Parlamentsverfahren hat nun fast drei Jahre gedauert; der sogenannte Beschleunigungserlass braucht viel Zeit. Damit nun nicht mit Gerichtsverfahren noch weitere Jahre vergehen, hat das Parlament lange darum gerungen, wie die Beschwerderechte eingeschränkt werden können, ohne das Verbandsbeschwerderecht gänzlich einzuschränken. Ich unterstütze die gefundene Lösung: die gerichtliche Überprüfung bleibt durch kantonale Verwaltungsgerichte möglich, es gibt aber keine Anrufung des Bundesgerichts mehr, dies nach dem Motto «bauen statt prozessieren». Das Ringen um diesen Kompromiss war ein eigentliches Powerplay um Hydropower. Nun sollten grosse Solarkraftwerke, Windparks und Wasserkraftwerke schneller geplant und bewilligt werden können.

Krawattenkult in der kleinen Kammer

Gemäss dem allerersten Geschäftsreglements des Nationalrates im Jahre 1850 war es geboten, dass die Ratsmitglieder den Sitzungen «in schwarzer Kleidung» beiwohnten. Inzwischen ist es im Nationalrat viel bunter geworden, farblich wie politisch. Eine geschriebene Kleiderordnung gibt es nicht mehr, wohingegen das Geschäftsreglement des Ständerates gebietet: «Die im Rat anwesenden Personen tragen eine schickliche Kleidung.» Dieser Schick äussert sich bei den männlichen Ratsmitgliedern in der Krawatte, die oft im Vorzimmer gebunden wird (Foto von Keystone/Peter Klauszner: Ständeräte Michel und Sommaruga). Und die Krawattenregel gilt wohlgemerkt nicht nur für Ständeratsmitglieder, sondern auch für alle im Rat anwesenden Personen. Wenn also ein Nationalrat auf den hinteren Bänken im Raum zuhören will, muss er sich zu diesem Zweck eine Krawatte umbinden.

Bankenregulierung: Kein Handlungsverbot für den Bundesrat

Mit dem Zusammenbruch der Credit Suisse brandete die Frage der richtigen Regulierung systemrelevanter Banken wieder auf. In sorgfältiger Arbeit haben sowohl der Bundesrat als auch die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) Analysen und Vorschläge gemacht. Es sind eine Vielzahl von vorgesehenen Massnahmen, wobei es wichtig ist, diese auf die potenziellen Risiken und damit auf die global systemrelevanten Banken auszurichten, was auch die PUK betont hat. Kaum präsentiert nun der Bundesrat den Fahrplan, kommt Gegenwind auf: Mittels einer Motion sollte der Bundesrat erst später ein Gesamtpaket aller Massnahmen vorlegen. Auf den ersten Blick tönt das gut. Doch gemäss Motionstext hätte man dem Bundesrat verboten, die nötigsten Verordnungsanpassungen gemäss eigenen Kompetenzen vorzunehmen. Richtigerweise lehnten die Mehrheiten in beiden Räten eine solche Verbotsmotion ab. Man kann nicht den Bundesrat für sein zu bankenfreundliches Entgegenkommen vor einigen Jahren kritisieren, so im PUK-Bericht, und ihn nun dort bremsen, wo auch die PUK Handlungsbedarf sieht.

Für starken medialen Service public

Es gab in der Vergangenheit Phasen, wo unserem Schweizer Radio und Fernsehen der SRG ein harter Wind entgegenblies. Umso einfacher war es, Unterschriften für massiv tiefere Gebühren zu sammeln. Doch National- und Ständerat wollten diese Rasenmähermethode nicht unterstützen, zu recht nicht: Gerade in unserem direktdemokratischen und föderalen System hat ein starker regionaler medialer Service public für die öffentliche Meinungsbildung eine Schlüsselfunktion. Um dem heutigen Medienverhalten Rechnung zu tragen, muss die SRG nicht nur am klassischen Bildschirm, sondern auf allen digitalen Kanälen präsent sein können; das entspricht auch dem verfassungsmässigen Auftrag. Dieser wird in Zukunft zwangsweise effizienter und kostengünstiger erbracht werden müssen, dafür sorgt der Bundesrat mit der Reduktion der Haushaltabgabe auf 300 Franken und das laufende Transformationsprojekt der SRG. Deshalb ist auch die Initiative in der Volksabstimmung abzulehnen (vgl. Nein zur HalbierungsinitiativeAllianz Pro Medienvielfalt).

Marathon auf dem Bundesplatz

Es finden viele Aktivitäten auf dem Bundesplatz statt: Gemüsemärkte, Beach-Volley-Turniere, Demonstrationen. Erstmals habe ich einen französischen Marathon-Läufer angetroffen, der seine 42 km in einem Kreis von 200 Metern direkt vor dem Bundeshaus lief, also nicht weniger als 210 Runden. Er wolle weder demonstrieren noch etwas verkaufen, sagte er mir. Vielmehr wolle er in allen Hauptstädten Europas einen Marathon zu laufen, aus Lust am Erleben, Reisen und in der Hoffnung, dank Gaben seine Reisekosten zu decken. Nach drei Monaten und je einem Marathon in Paris, Brüssel und nun Bern machte er noch einen zufriedenen und munteren Eindruck. Und er freute sich, erstmals in seinem Leben einem «Sénateur» zu begegnen. Bonne course!

Gratwanderung im Gaza-Konflikt

Der Gaza-Krieg wirft nicht nur Schatten auf unser Herz, sondern auch auf die parlamentarische Beratung. Wir beraten eine Motion, wie die Schweiz sich verhalten oder äussern soll. Dies im Wissen, dass die Aussenpolitik Sache des Bundesrates ist, so zum Beispiel die Frage, ob ein Staat (neu zum Beispiel Palästina) als solcher anzuerkennen ist. Ich habe der Verurteilung völkerrechtswidriger Verbrechen zugestimmt und der Forderung, alle Geiseln und politischen Gefangenen freizulassen sowie den freien Zugang zu humanitärer Hilfe im Gazastreifen sicherzustellen (auch durch Mitunterzeichnung eines entsprechenden parteiübergreifenden Auftrages an den Bundesrat für eine UNO-Resolution). Diese Forderungen richten sich an alle Kriegsparteien. Wenn man hingegen beginnt, die eine oder andere Seite einseitig zu verurteilen, wird man der Komplexität des Konflikts nicht gerecht und verliert als Schweiz die Chance, als neutrale Vermittlerin zu agieren. Doch ich gebe zu: Es ist eine Gratwanderung in diesem unsäglichen Konflikt. Bloss Deklarationen und Appelle zu verabschieden, ist unbefriedigend und es ist nicht einfach zu entscheiden, was schliesslich einer Deeskalation und einer Befriedung im Nahen Osten dient.

Patriarchalische Spuren im Namensrecht

Unser Name ist ein wesentliches Identifikationsmerkmal. Beim Heiraten stellt sich erstmals die Frage eines Namenswechsels. Früher war es einfach, aber einseitig-patriarchalisch: Der Name des Ehemannes galt unverrückbar als Familienname; er war ja auch «das Haupt der Familie» (so gemäss altem Eherecht bis 1987, das gleichzeitig einseitig für die Frau definierte: «Sie führt den Haushalt»). Das Verständnis von Familie hat sich erweitert und Patch-Work-Familien sind üblich. Entsprechend soll das im ehelichen Namensrecht wieder mehrere Wahlmöglichkeiten eröffnen. In meinem Votum setzte ich mich dafür ein, dass dieser vielfältigen Lebenswirklichkeit Rechnung getragen wird. Und uns der Staat nicht unnötig einengt bei der Namenswahl. Die Mehrheit des Ständerates sah dies konservativer: Eine Frau dürfte nach Auflösung der Ehe mit ihrem ersten Gatten, dessen Namen sie übernommen hat, diesen Namen zwar noch tragen, aber nicht an einen zweiten Ehemann und nicht an ihre künftigen Kinder weitegeben. Diese Einschränkung trägt für mich einen patriarchalischen Hauch aus alten Zeiten.

Was hat Hockey mit Kartellen zu tun?

Die aktuelle Hockey-Saison hinterlässt auch im Ständerat Spuren, wenn auch an ungewohntem Ort: Das Kartellgesetz stellt das Instrumentarium zur Verfügung, um den wirksamen Wettbewerb zu schützen. In der vergangenen Session wurde ein neues Instrument (Zivilklage von Privaten) eingeführt. In diesem Zusammenhang wurde auch eine «Financial-Fairplay-Regelung» im Sport diskutiert, wofür ich mich in meinem Votum eingesetzt habe, auch zugunsten des EVZ, der eine solche Regelung (zusammen mit elf anderen Clubs der National League) gefordert hatte: Um Lohnexzesse bei Spielergehältern zu vermeiden, hätte das Gesetz eine unter den Clubs vereinbarte Lohndeckelung als zulässig erklärt. Da dies eine Absprache unter marktbeherrschenden Hockeyclubs sein könnte, wäre eine entsprechende Gesetzesklausel notwendig gewesen. Der Ständerat wollte dieses finanzielle Fairplay unterstützen, der Nationalrat leider nicht, womit diese Financial Fairplay politisch nicht unterstützt werden wird. So zählen wir zumindest auf das Fairplay im Stadion

Aktuelles Engagement für Menschenrechte und Demokratie

Als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates nehme ich an deren Herbstsession teil. Vor 75 Jahren hat der Europarat die Europäische Menschrechtskonvention (EMRK) verabschiedet, der weltweit bedeutendste Standard für Menschenrechte. Wie aktuell der Einsatz dafür sowie für Rechtstaat und Demokratie sind, bezeugen unseren Begegnungen am Versammlungsort im Palais de l’Europe in Strasbourg: Der Premierminister von Armenien betont, wie relevant und unterstützend der Europarat für die Demokratisierung seines Landes war. Ebenso eindrücklich war die Begegnung mit Vertretungen von Nichtregierungsorganisationen aus Georgien und der Ukraine sowie mit Journalisten, die zum Teil erst vor Kurzem aus russischer Gefangenschaft entlassen worden sind. Einer davon ist der diesjährige Träger des Václav-Havel-Menschenrechtspreises, der ukrainische Journalist Maksym Butkewytsch. Diese Menschen betonen, wie wichtig die Tätigkeiten des Europarates sind; zum Teil seien sie deshalb wieder in Freiheit und würden dadurch im Kampf um Menschenwürde und Rechtsstaat ermutigt.

Haben Sie Fragen, Anliegen oder Kritik? Gerne stehe ich Ihnen Red und Antwort.