#StänderatMichel – Politik und Anekdoten

Fast alle Beratungsgegenstände im Parlament sind nun überlagert von finanzpolitischen Überlegungen. Auslöser war hier der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Er erschüttert nicht nur unsere bisherigen Vorstellungen eines friedlichen Europas, sondern verschiebt auch die innenpolitischen Prioritäten. Begleitet mit der Verabschiedung der Aussenpolitischen Strategie sowie eines persönlichen Besuchs des Präsidenten des ukrainischen Parlaments bestärkt dies die Einsicht, dass die Schweiz nicht allein ist auf dieser Welt: Auch als neutraler Staat, der aber global vernetzt ist, werden wir stark beeinflusst von geo- und europapolitischen Entwicklungen. Wir können uns ihnen nicht entziehen und müssen entscheiden, wie wir hier einen aktiven Beitrag leisten wollen, was ich befürworte.

Zwischen Sicherheits- und Steuerpolitik

Der Ständerat genehmigt den vierjährigen Zahlungsrahmen für die Armee mit den notwendigen Aufstockungen und lehnt es ab, dafür einen Sonderfonds zu schaffen, welcher die Schuldenbremse umgehen würde. Gut so, denn die Schuldenbremse bewahrt die Schweiz vor nicht finanzierten Ausgaben und davor, zulasten nächster Generationen Schulden anzuhäufen. Bei dieser Diskussion um die Armee-Finanzierung, welche in den letzten zwanzig Jahren gelitten hat, fällt Folgendes auf: Plötzlich stimmen auch SP-Parlamentsmitglieder für wachsende Armeebudgets. Und einige Bürgerliche könnten sich eine befristete Steuererhöhung zugunsten der Sicherheit vorstellen. Was ideologisch gemäss deren Parteiprogrammen bis vor Kurzem noch undenkbar erschien, wird plötzlich möglich. Es ist folgerichtig, dass die Sicherheitspolitik (und dazu gehört die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes wie auch die Versorgungssicherheit) wieder eine höhere Priorität erhält. Entsprechend sollen andere Staatsaufgaben und auch die Art und Weise deren Erledigung hinterfragt werden, was auch eine Chance ist: Liegt die Verantwortung bei Bund oder Kantonen? Können private in die Aufgabenerfüllung einbezogen werden (z.B. mit Public Private Partnership)? Liegen Effizienzsteigerungen drin, gerade mit der Digitalisierung? Und schliesslich ist es eine Frage der Ehrlichkeit, unserer Bevölkerung nicht vorzugaukeln, die Milliarden von drohenden Defiziten im Bundeshaushalt könne man allein durch Sparen vermeiden. Deshalb habe ich eine Motion zur Übergangsfinanzierung von AHV und Armee mitunterzeichnet.

Kultur inner- und ausserhalb des Bundeshauses

Im Bundeshaus debattieren wir die Kulturbotschaft des Bundes der nächsten vier Jahre. Die finanzpolitischen Rahmenbedingungen lassen ein Wachstum nicht zu; aber immerhin gibt es keine überraschenden Reduktionen; der Staat bleibt verlässlich. Ich finde die kulturpolitischen Rahmenbedingungen wichtig, gerade auch, weil Kultur wie Sport für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig sind. In beiden Bereichen sind aber die Aufgaben von Kantone und Gemeinden wichtiger als die Bundesaufgaben. Fast 90% der Kulturausgaben werden über die Kantone und Gemeinden getätigt, und das ist auch richtig so. Beispielhaft sei die grosse Unterstützung des Kantons Zug sowie der Gemeinden Cham und Zug genannt für die Sommernachtspiele in Cham: Wunderbar, wie hier die Musikgesellschaft Cham mit Voice Steps und dem Chor Lusingando, unterstützt durch ein professionelles Regie- und Technikteam und vielen Helfenden ein Musical an den Zugersee zauberte. Dies war eine echte Zuger Produktion mit Charme!

Auch ausserhalb des Bundeshauses betätigen wird uns kulturell: Einen Abend teile ich mit der Genfer Heimatvereinigung «Post Tenebras Lux» bei einer Degustation – mit Weinkultur klingt der Abend aus, aber nur insoweit, als ich noch mit wachem Geist mein Votum für den nächsten Tag vorbereiten kann. Sodann präsentieren wir mit der von mir präsidierten Allianz Cinéconomie, einem Zusammenschluss von kreativem Filmschaffen und Wirtschaft, einen Abend mit dem neuen Dokumentarfilm «Echte Schweizer». Dieser ist mindestens so spannend wie manche Fiction oder noch spannender: Er zeigt die Integrationskraft der Schweiz und hier der Armee. Sehenswert.

EGMR-Urteil aus Strasbourg: Mehr als Klimapolitik

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) wirft hohe Wellen: Die Schweiz wird wegen ungenügender Massnahmen in der Klimapolitik verurteilt. Es geht hier um mehr als Klimapolitik: Kann der EGMR ein neues Menschenrecht erfinden? Kann er einem Verein ein Beschwerderecht zuerkennen? Ist die Gewaltenteilung noch gewahrt, wenn der Urteil in die Klimapolitik der Schweiz eingreift? Zu Recht beschäftigt sich das Parlament mit diesem Urteil und darf es auch kommentieren. In unserer Erklärung werden die Menschrechtskonvention (EMRK) und der Gerichtshof als solche gewürdigt, dann folgt eine differenzierte Kommentierung mit dem Schluss, dass der EGMR die Grenzen seiner Aufgabe überschritten hat. Das Parlament tut also alles andere, als das Urteil zu ignorieren, was viele Medien fälschlicherweise berichten. Aber dieses Missverständnis ist auf eine Formulierung zurückzuführen, welche aus meiner Sicht falsch ist, dass die Schweiz nämlich dem Urteil «keine weitere Folge» geben soll. In meinem Votum beantrage ich jedoch erfolglos die Streichung dieses missverständlichen Passus; er wirkt meines Erachtens reaktionär statt überlegen und ist einem Rechtsstaat nicht würdig. Mit dieser Streichung wäre die Erklärung aus meiner Sicht stärker und glaubwürdiger gewesen.

Angewandte Klima- und Energiepolitik

Auf dem Fraktionsausflug inmitten der Session erfahren wir die praktische Umsetzung von Umweltpolitik in der Industrie: In einem Zementwerk der Holcim im Waadtland werden die praktischen Möglichkeiten der Wiedergewinnung von Abwärme zum Heizen, die Reduktion des CO2-Ausstosses sowie Recycling-Methoden bei der Zement-Herstellung und ressourcenschonender Einsatz von Beton aufgezeigt. Solche Innovationen sind – dank der Gesetzgebung und pragmatischen Behörden – derzeit nur in der Schweiz möglich, so zum Beispiel im Holcim-Innovationslabor Grüze in Winterthur. Umso wichtiger, dass solche Unternehmen in unserem Land forschen, entwickeln und produzieren. Holcim zeigt auf, wie dies gelingen kann.

Von Assistenzhunden und asiatischen Hornissen

Im letzten Newsletter habe ich von den Schnecken als Nutztiere berichtet. Die Tierwelt begleitet uns auch dieses Mal: Bei einem Postulat für optimierte Ausbildungen und Zulassungen für Assistenzhunde geht es um den direkten Nutzen von Tieren für beeinträchtigte Menschen. Bei den Asiatischen Hornissen dagegen um den Schutz gegen einheimische Bienen angesichts der Invasion dieser Schädlinge. Und fast täglich grüsst der Wolf: Das Tier, der Schutz vor ihm und die Möglichkeiten gezielter Abschüsse bleibt ein Thema. Ob der Titel der entsprechenden Interpellation schon zeigt, dass dieses Thema im Wallis und im Tessin mehr bewegt? Im französischen Text wird ausdrücklich vom «loup» bzw. «lupo» gesprochen, im deutschen Titel ganz nüchtern von der «Revidierten Jagdverordnung» – da kommt der Wolf nicht vor!

Bürgenstock-Konferenz und Austausch mit dem ukrainischen Parlamentspräsidenten

Schweizer Behörden haben den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine von Beginn weg verurteilt. Doch Worte allein genügen nicht. Soweit die Neutralität es zulässt, handelt die Schweiz: mit Wirtschaftssanktionen im Einklang mit der übrigen westlichen Welt und in der Tradition der guten Dienste nun mit der Durchführung einer Konferenz auf dem Bürgenstock. Dass dort keine Friedensverhandlungen stattfinden, war schnell klar. Und dass Russland dort nicht vertreten ist, sieht Andreas Rüesch (NZZ) in seinem Kommentar sogar als Vorteil: «Es gilt eine Situation zu vermeiden, in der die Ukraine plötzlich zu Konzessionen gegenüber dem Angreifer gedrängt wird und Moskau einen Propagandaerfolg erzielt.» Das macht die Konferenz nicht unnötig, im Gegenteil. Erstens beschränkt sich die Konferenz auf die Themen atomare Sicherheit, Lebensmittelsicherheit und die Rückkehr aller Kriegsgefangenen und verschleppten Menschen. Zweitens muss und soll die Ukraine den Rückhalt anderer Länder spüren. Gerade deshalb besuchte ich auch den Empfang des Präsidenten des ukrainischen Parlaments im Bundeshaus, Ruslan Stefanchuk. Ihm direkt gegenüber zu sitzen und seine Bezeugungen persönlich zu hören, war beidseitig wichtig. Seine markantesten Aussagen waren: «Nur das Opfer kann die Bedingungen bestimmen für ein Kriegsende». Und: «Wir brauchen keinen Frieden, der mit dem Verlust unserer Souveränität bezahlt wird. Wir brauchen keinen Frieden, der aus einem eingefrorenen Krieg besteht.»

Aussenpolitische Strategie

Parallel zur Vorbereitung der Bürgenstock-Konferenz beraten wir im Ständerat die Aussenpolitische Strategie 2024-2027 der Schweiz. In meinem Votum als Kommissionsprecher betone ich die Chancen für die Schweiz als neutraler Ort von Friedenspolitik, Demokratie und als Promotorin technologischer Errungenschaften für die Welt. Speziell erwähne ich unser Know-how im Bereich des Föderalismus (so etwa am Institut für Föderalismus in Fribourg): Hier geht es im Sinne eines gesamtheitlichen Ansatzes darum, dass wir den Föderalismus stärker in unsere Aussenbeziehungen und in die Entwicklungszusammenarbeit einbauen. So bieten sich föderale Lösungen an in Ländern mit diversen Nationalitäten, Kulturen und Religionen. Sodann kann sich die Schweiz mit dem Zentrum für globale Digital- und Technologiepolitik in Genf noch stärker als neutraler Hort fern der Machtpolitik und als Innovationshub für nachhaltige Entwicklungen etablieren.

Zugang zu Pädagogischen Hochschulen: eine alte Frage erwacht

Mit einer Standesinitiative sollen die kantonalen Pädagogischen Hochschulen nicht nur die gymnasiale Matura und die Fachmaturität Pädagogik, sondern zusätzlich auch die Berufsmaturität (BM) als Eintrittsticket anerkennen; heute braucht es dazu eine Eintrittsprüfung, die gemäss Standesinitiative abgeschafft werden soll. Ich habe sehr viel Sympathie für die BM und diese als Zuger Regierungsrat auch immer unterstützt. Nur ist der Bildungsrucksack bei der BM nun einmal kleiner als derjenige mit der gymnasialen Matura. In meinem Votum für die Kommission erklärte ich, dass zuerst die Auslegeordnung der verschiedenen Zugänge zur PH gemacht werden soll, bevor die Politik in die Zulassungsbedingungen eingreift. Ich werde erinnert an die Diskussionen vor 30 Jahren, als damals die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) eine gymnasiale Maturität für die Lehrerausbildung vorschrieben und damit den praxisorientierten seminaristischen Weg verbauten. Vergeblich haben wir von Zug aus die «Petition gegen Zentralismus und Gleichschaltung in der Lehrerbildung» mit rund 80’000 Unterschriften eingereicht – erfolglos. Jetzt kommt die späte Erkenntnis, den Zugang zu den Pädagogischen Hochschulen zu erweitern.

Wahlbeobachtung in Nordmazedonien

Kurz vor der Session konnte ich als Parlamentsmitglied an einer durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) durchgeführten Beobachtung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Nordmazedonien teilnehmen. Während rund zwei Monaten war ein Kernteam vor Ort, welches das Umfeld von Wahlen (rechtliche Rahmenbedingungen, Zugang zu Medien, Wahlfinanzierung usw.) analysiert. In der Woche der Wahl kamen dann rund 200 Kurzzeitbeobachter und -beobachterinnen ins Land. In dieser Funktion war auch ich tätig. Zur Wahrung der Neutralität und damit Glaubwürdigkeit der Wahlbeobachtung kann ich die Wahlen nicht politisch kommentieren. Doch einige Erfahrungen in meiner Funktion gab ich in einem Interview in der Zuger Zeitung und meine persönlichen Eindrücke vom Land in einem Beitrag in der Dorfzytig Oberwil wieder. Es sind positive Eindrücke im Wissen darum, dass einiges verbessert werden kann. Aber das gilt auch für die Schweiz, wenn man sie beobachtet.

Haben Sie Fragen, Anliegen oder Kritik? Gerne stehe ich Ihnen Red und Antwort.