#StänderatMichel – Politik und Anekdoten
Die Sommersession 2025 war geprägt von vielen Zahlengeschäften: Nachtragskredit, Individualbesteuerung, AHV/IV-Ergänzungsleistungen, Finanzierung der 13. AHV-Rente, Erbschaftssteuerinitiative. Hinter diesen Zahlen verbergen sich Werte und Interessen, um die beraten und gerungen wird; das ist das Wesentliche daran: Welche staatlichen Leistungen wollen wir? Wer bezahlt diese? Was heute noch in den Ratssälen debattiert wird, kommt dann häufig auf Ihren Wahlzettel: Auch Sie haben sich dann in der entsprechenden Volksabstimmung zu entscheiden.Doch bis dahin wünsche ich Ihnen vorerst eine erfüllte Sommerpause!
Samstagsgespräch
Am kommenden Samstag, 28. Juni, von 11–12h, lade ich zum Samstagsgespräch zu Themen aus der Sommersession (und darüber hinaus) ein. Im Restaurant Fischerstube in der Zuger Altstadt berichte ich über die Schwerpunkte. Das Gespräch ist offen für Fragen und Diskussionen für alle Interessierten – laden Sie auch Ihre Bekannten dazu ein! Angesichts der Medialisierung sind direkte Kontakte und das persönliche Gespräch wichtiger denn je.


Neuer Horizont für die Schweizer Forschung
Der Bundesrat, unterstützt durch die Schweizer Diplomatie, hat es geschafft, mit dem Abschluss der Verhandlungen mit der EU auch eine Perspektive für die Schweizer Forschung zu geben: Ab sofort kann die Schweiz wieder vollumfänglich am Horizon-Forschungsprogramm mitmachen. Dass gerade dies unserem Land ermöglicht, seine Stärken einzubringen und zu entfalten, brachte ich in meinem Votum zugunsten des Budgetkredits für den Schweizer Beitrag für das Jahr 2025 zum Ausdruck. Diese Beteiligung der Schweiz am weltweit bedeutendsten Forschungsprogramm ist jedoch nur provisorisch: Nur mit einer Zustimmung von Parlament und Volk zum neuen Vertragspaket der Schweiz mit der EU kann diese wichtige Errungenschaft langfristig gesichert werden.
Der Krimi der Session: die Individualbesteuerung
Das Resultat war äusserst knapp: Mit 22:21 im Ständerat und nur acht Stimmen Unterschied im Nationalrat hat das Parlament der Initiative “Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-


Hilfe im Alter: Freiwilligenarbeit nutzen
Sozial und ökonomisch ist das Wohnen im eigenen Zuhause auch im Alter sinnvoll. Die Belegung von Plätzen in Alters- und Pflegeheimen ist teuer und kostet den Staat viel Geld. Besser unterstützt er ältere und invalide Personen, damit sie möglichst lange zuhause wohnen können. Dem dient eine neu beschlossene Pauschale für Personen mit AHV/IV-Ergänzungsleistungen, die die Kosten für Notrufsystem, Mahlzeiten-, Begleit- und Fahrdienste abdeckt. So weit so gut. Nun wollte die Kommission zusätzlich auch Hilfsdienste für die Förderung der Alltagsgestaltung und der sozialen Teilhabe durch die Pauschale abgegolten haben. Genau diese, sogenannte psychosoziale Betreuung, wird heute entweder durch Familienangehörige oder durch Freiwillige erbracht. Das tun wir zum Beispiel mit unseren KISS-Genossenschaften. Als Präsident der Dachorganisation Fondation KISS habe ich in meinem Votum auf die Problematik hingewiesen, dieses freiwillige Engagement neu in den Bereich bezahlter Leistungen zu drängen; das System würde komplizierter und teurer. Der Rat hatte ein Ohr für meine Argumente und ist ihnen gefolgt.
Service citoyen
Heute ist der verpflichtende Staatsdienst auf Männer beschränkt und einzig auf die Sicherheit ausgerichtet (Militär, Zivilschutz). Das passt nicht mehr in die heutige Zeit. «Insgesamt würde ein allgemeiner Bürgerdienst die soziale und intergenerationelle Durchmischung fördern und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt im Staat beitragen – und dies bei grösstmöglicher Flexibilität und Wahlfreiheit zwischen den verschiedenen Aktivitäten im Dienst für das Gemeinwohl», schreibt etwa Avenir Suisse. Die liberale Denkfabrik hat vor zehn Jahren die Skizze eines allgemeinen Bürgerdienstes präsentiert. Später hat die Mitte eine analoge Forderung gestellt, und die FDP hat in einer Motion einen Allgemeinen Bürgerinnen- und Bürgerdienst gefordert. Auch die Volksmeinung würde einen obligatorischen Dienst für Männer und Frauen mit freier Wahl zwischen Militär-, Zivil- oder Sozialdienst unterstützen, zumindest gemäss der Studie «Sicherheit 2025» der ETH-Militärakademie. Deshalb unterstützte ich in meinem Votum die Volksinitiative «Für eine engagierte Schweiz ««Service-citoyen-Initiative». Eine grosse Mehrheit beider Räte hat die Initiative jedoch abgelehnt, primär aus Sorge um die Umsetzung. Ich meine, sie hätte mehr Zustimmung verdient, und die Umsetzungsfragen scheinen mir lösbar zu sein. So wird das Volk darüber entscheiden.


Selbstverständnis Neutralität
Dass wir als Land in internationale Konflikten neutral bleiben, findet eine sehr hohe Zustimmung in unserer Bevölkerung. Unsere Neutralität war und ist ein identitätsstiftendes Element. Entsprechend verführerisch ist es, der Neutralitätsinitiative der SVP zuzustimmen. Doch bei näherem Hinsehen würde diese Initiative in unserem Land die bisher praktizierte Aussenpolitik massiv verändern; wir würden beispielsweise tatenlos zusehen, wie Länder wie die Ukraine angegriffen werden und könnten keine Wirtschaftssanktionen mehr gegen den Aggressor ergreifen. In meinem Votum als Kommissionsprecher und in einem Interview wende ich mich gegen eine Abkehr von der bisherigen Neutralitätspolitik, was die klare Mehrheit des Ständerates auch so sieht. Umso mehr bereits heute die Bundesversammlung und der Bundesrat gemäss Bundesverfassung verpflichtet sind, Massnahmen zur Wahrung der Neutralität zu treffen.
Einfache Logik
Ist es Lob oder Beleidigung, wenn man einer Person sagt, sie habe eine einfache Logik? Diese Frage stellt sich im Ständeratssaal. Während der Beratung zur Neutralitätsinitiative ereiferte sich der Zürcher Ständerat Jositsch über ein Votum der Aargauer Standesvertreterin Binder: «Frau Binder hat es gesagt, in ihrer einfachen Logik – entschuldigen Sie – hat sie gesagt, Neutralität bedeute, wenn alle so wären wie die Schweiz, sich also nur verteidigen und sonst nichts machen würden, gäbe es keinen Krieg.» Er beliess es nicht bei dieser Entschuldigung, sondern stellte dann eine Woche später klar: «Ich möchte noch einmal auf ein Votum von Frau Binder eingehen. Ich wurde damals falsch verstanden, als ich «in ihrer einfachen Logik» gesagt habe. Ich habe damit gemeint: treffend, präzise auf den Punkt gebracht. In diesem Sinne – lobend – habe ich das gemeint.» Der Rat nahm diese Bekenntnis wohlwollend und schmunzelnd entgegen.


Innovative Nahrungsmittelproduktion nach wie vor blockiert
Die Schweiz als innovatives Land hätte das Potenzial, auch in der Nahrungsmittelproduktion progressiver zu sein. Doch stattdessen gilt seit 20 Jahren ein Moratorium in der Gentechnologie. Dieses Verbot zur Anwendung gentechnischer Verfahren ist zwar nachvollziehbar für die traditionelle Gentechnik, aber nicht mehr angezeigt für die neuen Züchtungsverfahren, die präzisere Eingriffe in Pflanzen ohne fremdes Genmaterial ermöglichen und dieselben Ergebnisse wie in der Natur hervorbringen. Deshalb setzte ich mich in meinem Votum dafür ein, dass solche neuen Methoden – auch zugunsten klima- und schädlingsresistenter Pflanzen – rascher zugelassen werden. Unsere Kommissionsminderheit blieb aber auch im Ständerat in der Minderheit, der das Moratorium für jegliche gentechnischen Verfahren bis 2030 verlängerte. Immerhin mit dem allseitigen Bekenntnis, dass das nun vom Bundesrat vorgelegte Bundesgesetz über Pflanzen aus neuen Züchtungstechnologien auch schon früher die neuen Verfahren erlauben könnte.
Finanzierung der 13. AHV-Rente – jetzt kommt die Rechnung
Nach dem Willen der Volksmehrheit wird ab dem Jahr 2026 eine 13. AHV-Rente ausbezahlt. Wie die zusätzlich benötigten 4.2 Milliarden Franken zu erbringen sind, muss noch definiert werden. Zusammen mit der FDP wende ich mich dagegen, diese Last über Lohnprozente und damit zulasten von Arbeitgebern und Arbeitnehmenden zu bezahlen. Und auch dagegen, zusätzlich heute schon Mittel für bessere AHV-Ehepaarrenten zu beschliessen, ein Thema, das noch gar nicht beraten worden ist. Leider hat eine knappe Mehrheit des Ständerates anders beschlossen und belastet so KMU und Mittelstand. Diese falsche und überschüssige Belastung der arbeitenden Bevölkerung bezeichnet der Wirtschaftsverband economiesuisse zu Recht mit «Entgleisung der Session».


Zwischenräume für Mediation in der Politik
Abschliessend möchte ich auf eine Publikation verweisen, die letztes Jahr entstanden ist, nicht an eine Session gebunden. Das Reflektieren über die Tagespolitik hinaus ist mir wichtig. Ich habe mir die Frage gestellt, ob Elemente der Mediation als Mittel zur Konfliktlösung in der Politik Platz haben. Mein Fazit: Mediation und Politik werden kaum je in einem Atemzug genannt. Auch wenn es in beiden Bereichen schliesslich um das Finden von Lösungen vor dem Hintergrund von Interessengegensätzen geht, sind die Rahmenbedingungen in der Politik wenig geeignet für mediative Verfahren. Doch mediative Elemente und Haltungen haben sehr wohl in einem weiterem Verständnis der Politik Platz, so in vorbereitenden Gremien ausserhalb und innerhalb des Parlaments.