Würdigung von Rolf Schweiger
(von Ständerat Matthias Michel anlässlich der Trauerfeier vom 4. Februar 2025 in der Kirche St. Martin in Baar)
Liebe Dorly, liebe Schwester Susanne, liebe Söhne mit Familien, liebe Familienangehörige
Geschätzte Trauergemeinde
Die Familie hat mich gebeten, das politische Leben des Verstorbenen zu würdigen. Rolf Schweiger war in allem Mensch - als Politiker und Anwalt. Als solcher war und bleibt er für mich und viele andere ein grosses Vorbild.
Wenn man auf das Bundeshaus zuschreitet, sind links und rechts des Hauptportals zwei Bronzefiguren unverkennbar sind die Geschichtsschreiber. Rolf Schweiger ist hunderte Male zwischen diesen beiden Schreibern durchgegangen Zur Rechten sitzt ein jugendlicher Mann, der sein Geschichtsbuch noch schreibt – er will uns Eintretenden unsere Verantwortung als heutige Politikerinnen und Politiker, bewusst werden lassen. Sein Kollege auf der anderen Seite ist ein betagter Schreiber. Er hält uns sein schon geschriebenes Buch entgegen und sagt uns damit: «Hört, ihr heutigen Parlamentsmitglieder, ihr seid nicht die ersten, da gab es schon Generationen vor euch, die unseren Staat geprägt haben. Seid demütig in Anerkennung dieser Vorleistungen.»
Rolf kommt mir vor wie dieser weise Historiker. Er hat ebenfalls Politikgeschichte geschrieben. Und könnte man in seinem Buch blättern, dann sähe man nicht nur Texte, sondern unzählige, mittlerweile legendäre Skizzen und Kugelschreiberzeichnungen. Rolf zeichnete aber nicht des kreativen Ergebnisses wegen, auch wenn die Zeichnungen später in einer Galerie ausgestellt und in einer Lokalzeitung als Serie veröffentlicht wurden. Vielmehr waren sie für ihn Mittel zur Konzentration auf das Wesentliche. Irgendwie zeichnete es einfach mit ihm.
Mit diesem Bild sind wir mitten im vielfältigen Wesen des Verstorbenen. Sachkunde, Weitblick, Mut zu Originalität und Unkonventionellem, gepaart mit einem feinen Sinn für Humor und Selbstironie, was etwa anlässlich seiner Verabschiedung aus dem Ständerat zum Ausdruck kam, als er sagte:
«Ich wurde als Mensch geboren und Schweiger getauft. Doch meinem Namen konnte ich nicht gerecht werden.»
Sein politisches Wirken startete er mit 25 Jahren als Kantonsrat. Schon damals war ihm der liberale Gedanke Leitschnur für eine lösungs- und zukunftsgerichtete Haltung. Obwohl später sicher kein eifriger Kinogänger und Ballbesucher befasste er sich ganz zu Beginn mit dem Film- und dem Tanzgesetz – zwei Rechtsgebieten, die mit reichlich überholten Normen versehen waren, denen er als Liberaler nichts abzugewinnen vermochte. Zur Frage, wann getanzt werden darf, meinte er: «Das soll doch jeder einzelne Mensch für sich entscheiden» – und das galt nicht nur fürs Tanzen.
Von seinem juristischen Rucksack profitierte der Kantonsrat mehrfach. Karl Etter, damals Redaktor der Zuger Zeitung, umschrieb es im Rückblick treffend, ich zitiere:
«Er war immer präsent, wenn sich der Kantonsrat in eine juristische und inhaltliche Sackgasse manövriert hatte. Dann ging Rolf Schweiger lockeren Schrittes zum Rednerpult, unterschied A und B, das Juristische und das Politische, gliederte aus dem Stegreif die Sache in erstens, zweitens und drittens, baute seine berühmten Konjunktivsätze («Wenn dem so wäre, würde …») und brachte dann juristisch wie politisch die Debatte wieder in Ordnung.»
In dieser Beschreibung ist schon alles angelegt, was Rolf Schweiger in den Jahren 2003-2011 als Ständerat auszeichnen sollte.
Aus unserem Kanton nahm Rolf auch das mit, was mir sein Freund und Begleiter Ueli Bollmann in einem Satz zusammenfasste:
«Rolf war die Verkörperung des positiven zugerischen Selbstverständnisses.»
Für Ständerat Schweiger war Zug ein Erfolgsmodell, das Vorbild sein konnte für die Schweiz. Umgekehrt betonte er aber auch, dass unser Kanton nur Erfolg haben könne, wenn es dem ganzen Land gut gehe. Mit dieser Übertragung bewährter Grundsätze unseres kleinen Kantons auf die Bundesebene wurde Rolf Schweiger in Kürze zu einem anerkannten Kenner und Gestalter von Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik, Raumplanungs- und Energiepolitik.
Sein Erfolg beruhte eigentlich auf einem einfachen, aber wirkungsvollen Ansatz: Definition der gemeinsamen Interessen aller Beteiligten und dann mit einem out-of-the-box-Ansatz die Ausarbeitung einer kreativen Lösung. Das Ergebnis war dann meist mehr als ein alle Seiten nur halbwegs befriedigender Kompromiss. In diesem Sinne brachte er als kurzzeitiger Parteipräsident der FDP Schweiz die Bundesratsparteien an einen eckigen Tisch, um sich in der Finanzpolitik auf Eckwerte zu einigen. Wäre auch heute wieder ein Gebot der Stunde.
Out-of-the-box war auch eine Episode während des Ständeratsausfluges 2007, die mir der damalige Ständeratspräsident Peter Bieri, sein Zuger Standeskollege, schilderte. Auf seine Anregung hin beglückte Rolf, der nicht nur ein zeichnerisches Talent hatte, sondern auch ein ausgezeichneter Klavierspieler war, das Ständeratskollegium mit einer Sonate von Schubert. Allerdings nicht allein. Seine Duo-Partnerin war eine Ständeratskollegin und ausgebildete Konzertpianistin – es war die nachmalige SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga.
Inhaltlich spielte Rolf Schweiger auf einer anderen Klaviatur als seine Konzertflügelkollegin. So erschien ihm etwa die Energiestrategie des Bunderates mit dem Atomausstiegsentscheid überhastet und deshalb zu wenig durchdacht. Als Präsident der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik (Aves) wandte er sich deshalb mutig gegen den Mainstream. Heute würde er wohl wieder mehr Gehör finden.
Gleiches galt auch für die Finanzpolitik. Seine Motion aus dem Jahr 2003 mit vierzig konkreten, teilweise heute noch hochaktuellen Vorschlägen zeigte seine Gabe, weit über eine Legislaturperiode hinaus zu denken.
Rolf Schweiger war klar einer liberalen Politik verpflichtet, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als ein sich in allen Teilen selbst förderndes Ganzes sah. Seine Partei, die FdP, verdankt ihm deshalb vieles, so einen klaren und zugleich integrierenden Kompass. Er stemmte sich einerseits gegen rückwärtsgerichtete Idealisierungen der Vergangenheit und andererseits gegen die Vorstellung, für die Zukunft habe der Staat alles zu richten. Entsprechend grenzte er sich auch klar gegen die, die Schweiz international isolierenden Kräfte einerseits, gegen Regulierungsgläubige andererseits, ab.
Zu seinem liberalen Credo gehörte auch, für Offenheit gegenüberverschiedenen Seiten einzutreten. So forderte er einerseits ein feineres Sensorium von Managern internationaler Unternehmen für Schweizer Eigenarten und Befindlichkeiten. Und andererseits ebenso ein stärkeres Verständnis in Bundesbern für die internationale Dimension der Wirtschaft.
Ähnliches gilt für den Neuen Finanzausgleich. Ein Finanzausgleich zwischen ärmeren und reicheren Kantonen war auch für ihn als Zuger kein Tabu. Sein Anliegen war aber gleichzeitig, die interkantonale Solidarität nicht zu überstrapazieren und so den Föderalismus auszuhebeln. Die späteren Korrekturen des NFA lagen dann ganz auf seiner Linie.
Dass auch trockene Steuerpolitik Gegenstand von familiärer Bodenhaftung und einer Prise Humor sein kann, bewies er bei der Unterstützung einer Zuger Standesinitiative. Dabei ging es um die Steuerbefreiung von Ausbildungskosten von Kindern. Rolf dazu im Originalton:
«Ich verhehle nicht, dass mein momentanes Votum auch einen gewissen Selbstzweck hat. Es ist für mich fast eine familienpolitische Notwendigkeit, hier und heute zu sprechen. Dies aus dem folgenden Grund: Ich habe Enkelkinder, und diese Enkelkinder wurden immer darüber orientiert, dass ihr Grossvater in Bern arbeite. Sie sind noch in einem Alter, in welchem sie nicht verstehen können, was das heisst: Politisieren. Ich bin nun in der glücklichen Lage, meine Enkel am fast letzten Tag, da ich im Ständerat bin, auf der Tribüne zu wissen. Sie werden nun endlich im Massstab eins zu eins erfahren, was es bedeutet, wenn ihr «Papapa» sich in Bern befindet und politisiert.»
Für den Politiker Schweiger war in seinem politischen Wirken die Vernunft das entscheidende Orientierungskriterium. Mitte-Präsident Gerhard Pfister brachte es in seinem lesenswerten Nachruf wie folgt den Punkt, ich zitiere:
«Für Rolf Schweiger war das Vernünftige auch das politisch Richtige.»
Entsprechend haben ihm schon seit Beginn seiner Ständeratstätigkeit, ich zitiere wiederum
«eine zunehmend irrational argumentierende Grundstimmung, ein Kurzfristdenken, unüberlegtes Vorpreschen medien- statt sachgesteuerte Politik»
Mühe bereitet. So formulierte er es auch in seiner Erklärung beim Verzicht auf eine weitere Kandidatur im Jahr 2011.
Bei allem Streben nach Vernunft: Rolf Schweiger hatte dabei auch seine Schwächen – Schwächen allerdings, die man jedem klugen Menschen und vor allem ihm verzeiht.
Gerhard Pfister stellte richtigerweise nicht nur fest, ich zitiere
«Rolf war ein brillanter Kopf, intelligent, eloquent, humorvoll, menschenfreundlich»
sondern ergänzte auch
«Er war ein liebenswürdiger Chaot, was Termine und Formalitäten anging – solches machte man lieber nicht mit ihm ab, sondern mit seinem Büro.»
Rolf Schweiger war sich dessen bewusst. So war ihm seine Büropartnerin Verena Iten für alle Fragen der Organisation die wichtigste Stütze. Ghost Writer Ueli Bollmann wiederum beriet ihn in Fragen der Kommunikation. Und nicht zu vergessen seine Ehefrau Dorly. Nicht auszudenken, mit welchem Outfit und welcher Reservewäsche er sonst nach Bern gefahren wäre. Genau Dorly war eben nicht zugegen, als er im Anwaltsbüro statt seinen schwarzen Aktenkoffer denjenigen des Handwerkers, der im Büro den Kopierer reparierte, mit nach Bern nahm.
Zur Vernunft und Kreativität gehört bei der Beschreibung von Rolf Schweiger noch ein Drittes: Seine vorurteilslose Offenheit gegenüber Andersdenkenden. Ohne diese wäre es ihm nicht möglich gewesen, Respekt und Anerkennung auch in jenen Kreisen zu finden, die in ganz gegensätzlichen Politikwelten unterwegs waren. So würdigt GSOA-Gründer Jo Lang ihn mit den Worten, ich zitiere
«Rolf Schweiger hat uns Linke schon in den Anfangszeiten in den 80er Jahren ernst genommen. Menschlich konnte man mit ihm jederzeit reden.»
Und viele haben hierzulande auch gestaunt, als Rolf Schweiger die Präsidien der Stiftung Doku-Zug, dem historischen Gedächtnis, und der Organisation Pro Arbeit Zug, dem ehemaligen Zuger Arbeitslosen-Treff, übernahm. Beides war auf Initiative des in Zug bestbekannten Linkspolitikers Daniel Brunner entstanden. So war Rolf eben auch.
Lieber Rolf, dich als Politiker zu würdigen heisst deshalb auch, den sensiblen Menschen Rolf zu würdigen. Rolf, du hast diese Erde verlassen. Du bleibst uns aber als Vorbild – in deinem beruflichen, politischen und menschlichen Wesen.