#StänderatMichel – Politik und Anekdoten

Die Normalität, ohne Masken und Schutzvorkehrungen im Bundeshaus zu beraten, war von kurzer Dauer. Seit Beginn der Session sind die Tage nicht mehr normal; sie sind geprägt von Kriegsnachrichten. Wir alle sind betroffen und suchen Ausdruck in Erklärungen und Gesten. Und gleichwohl ist das politische Tagesgeschäft zu tun.

Der Gedanken an die ukrainische Bevölkerung begleitet uns in diesen Wochen.

Samstagsgespräch

Am Samstag, 19. März von 11 – 12 Uhr lade ich ein zum Samstagsgespräch mit Aktuellem und Anekdoten aus der Session. Im Freiruum in Zug berichte ich von den Geschäften, Abstimmungen und Ereignissen. Danach ist das Samstagsgespräch auch offen für Fragen und Diskussionen unter den Teilnehmenden.

Schatten des Krieges

Unser Sessionsbeginn ist überschattet von der brutalen Aggression der russischen Führung, der damit verbundenen krassen Verletzung des Völkerrechts und der Souveränität eines Landes sowie dem Leid der ukrainischen Bevölkerung. Unser Ständeratspräsident Thomas Hefti bringt unsere Entrüstung, unsere Betroffenheit und unser Mitgefühl mit der betroffenen Bevölkerung in einem Eingangswort zum Ausdruck. Das Parlament seinerseits verabschiedet Erklärungen mit der Verurteilung der russischen Aggression, der Forderung nach Waffenstillstand, nach Sanktionen unseres Landes und humanitären Angeboten und unkomplizierter Aufnahme von Betroffenen. Im Nationalrat gibt es noch Gegenstimmen aus dem SVP-Lager gegen schweizerische Sanktionen; im Ständerat gibt es zum Glück keine Gegenstimmen, nur wenigen Enthaltungen. Eine klare Erklärung! Meinerseits thematisiere ich in einem Politblog die Dilemmasituation für viele.

Schweiz in den UNO-Sicherheitsrat

Das Schweizer Volk hat sich vor 20 Jahren für den Beitritt zur UNO entschieden. Dazu gehört auch das Recht, als Teil der wechselnden Staaten für zwei Jahr im Sicherheitsrat der UNO Einsitz zu nehmen. Dieser entscheidet unter anderem über friedenserhaltende Missionen und Sanktionen. Die Schweiz bereitet sich seit langem auf die Einsitznahme ab Sommer 2022 vor; das Parlament hat diesen Schritt bisher unterstützt. Die derzeitige Kriegssituation in der Ukraine hat an dieser Haltung nichts geändert Nationalrat und Ständerat lehnen einen SVP-Antrag klar ab, dem Sicherheitsrat fern zu bleiben – ein richtiger Entscheid: Ich finde, dass die UNO gerade wegen der aktuellen kriegerischen Ereignisse wichtig ist. Sie ist die einzige globale Organisation, in der sich auch feindliche Mächte gegenübersitzen. Und welche an vielen Orten der Welt mit ihren Friedenstruppen das gewaltsame Aufeinanderprallen von Feinden verhindert. Die Schweiz kann und soll hier ihre Verantwortung wahrnehmen.

Von rollenden Schiffen und behüteten Wölfen

Die ernsten Debatten werden zuweilen durch Sätze zum Schmunzeln oder Bonmots aufgeheitert. Im Personenbeförderungsgesetz wird definiert, welche Kosten Bund und Kantone bei der Bestellung des regionalen Personenverkehrs zu übernehmen haben. Der Nationalrat zeigte sich grosszügig und wollte auch Kosten «betreffend das historische Rollmaterial» anerkennen, somit für die Pflege aller Lokomotiven. Auf die Frage, ob auch historische Linienschiffe auf dem Vierwaldstättersee profitieren können, meine Bundesrätin Sommaruga: «Es stimmt: Das Kursschiff auf dem Vierwaldstättersee würde hier auch dazugehören. Dieses würde sozusagen über den See rollen». Vom See auf den Berg: Bei der Beratung eines Budgetnachtrages ging es um den Schutz von Schafen und anderen Nutztieren vor Wölfen. Hier überzeugte der Bündner Standesvertreter mit dem Satz: «Wir wollen die Nutztiere schützen, nicht die Wölfe hüten.»

Unternehmertum auch im öffentlichen Verkehr

Wenige Minuten später geht es bei diesem Personenbeförderungsgesetz plötzlich um sehr Grundsätzliches: Monopol oder Wettbewerb? Ausgangslage ist die folgende: Mit den mobilen Geräten ist auch der Zugang zum öffentlichen Verkehr einfacher geworden: Früher löste man am Schalter ein Billett, musste zum Vornherein wissen, von wo bis wo man fährt. Heute kann man auch ohne Generalabo über die App «Fairtiq» einfach eine Fahrt lösen und auch weiterfahren; erst mit dem Aussteigen wird abgerechnet. Solche Ticketing- Angebote wurden durch private Start-ups auf den Markt gebracht; dazu braucht es Wettbewerb und Unternehmertum. Dass dies auch in Zukunft möglich bleibt, dafür setze ich mich in meinem Votum ein: Die Wettbewerbsgesetzgebung (Kartellgesetz) gilt auch hier.

Durchbruch für neue Pflanzenzüchtungsmethoden

Das schon 15jährige Moratorium für gentechnisch veränderte Organismen geht zwar weiter. Doch mit der verbotenen, traditionellen Gentechnik habe die neuen Züchtungsmethoden kaum mehr etwas gemeinsam. Die neuen Methoden ähneln der bisher zugelassenen und auch im Bio-Landbau angewandten Methode (Mutagenese). Statt Bestrahlung oder Chemie wird aber ein viel präziserer und sanfterer Eingriff gemacht, ohne fremdes Genmaterial. Beide Räte haben den Bundesrat beauftragt, in einer Gesetzesvorlage solche Verfahren zu ermöglichen. Es ist eine Deblockierung zugunsten einer produktiven Schweizer Landwirtschaft der Zukunft; deshalb spreche ich von einem Freudentag für die Schweizer Pflanzenzucht.

Fado: Nicht nur portugiesische Musik

Als ich zum ersten Mal den Titel des Traktandums lese «Verordnung über das System FADO» dachte ich an das kulturelle Erbe Portugals: Ein Musikstil, der mehr ist als Musik, sondern Ausdruck eines Seelenzustands. Und in der Tat gehört diese portugiesische Musiktradition zum schützenswerten Weltkulturerbe der UNESCO. Heute wird aber anderes debattiert: FADO steht für «False and Authentic Documents Online». Dies ist ein Bildspeicherungssystem der EU für den Austausch von Informationen über Sicherheitsmerkmale und potenzielle Fälschungsmerkmale in echten und gefälschten Dokumenten zwischen den Schengen-Staaten. National- und Ständerat haben Musikgehör und stimmen zu, dass sich die Schweiz weiterhin an diesem EU-Sicherheitssystem beteiligt.

Hoher Wert von Ombudsverfahren

In der Schweiz habe wir ausgebaute Gerichtsverfahren. Doch nicht für jede Angelegenheit möchte man vors Gericht, gerade wenn es um kleinere Streitsummen geht oder um die Frage, ob sich ein gerichtliches Verfahren überhaupt aufdrängt. Hier leisten Schlichtungs- und Ombudsstellen wertvolle Arbeit. Im Bankenbereich kennen wir den Bankenombudsman, im Versicherungsbereich die Ombudsstellen der Krankenkassen und jene der Versicherer. Als Präsident der Stiftung Ombudsman Privatversicherungen und Suva kenne ich diese Institution sehr gut; gerade in der Pandemiezeit konnten wir Hunderte von Versicherten einen einfachen Zugang zum Recht und bestenfalls zu einvernehmlichen Lösungen führen. Im Rahmen der Revision des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) wollte der Bundesrat diese Ombudsstellen regeln. Motivation waren die bisher nicht an Ombudsstellen angeschlossenen Versicherungsvermittler. Doch es wäre eine überschiessende Reglementierung zu erwarten gewesen, die unsere Verfahren verkomplizieren. Dagegen wehrte ich mich in meinem Votum. Und mit mir der Ständerat wie auch der Nationalrat.

Müssen wir uns rüsten?

Die letzten Sessionstage sind wieder durch den Ukrainekrieg geprägt: Ich nehme an einem Forum teil, das in den Vorjahren jeweils die positive Entwicklung des jungen Landes Ukraine beleuchtete. Heute ist es überschattet von den Kriegsereignissen. Und die Schilderungen des ukrainischen Botschafters und seiner Landsleute machen mich betroffen und nachdenklich. Einigkeit besteht darin, dass der russische Angriff nicht ein solcher auf ein einzelnes Land, sondern auf die demokratischen und souveränen Staaten Europas ist. Deshalb rüsten nun westeuropäische Staaten auf. Und für die Schweiz diskutieren wir auch darüber, wie die Verteidigungsfähigkeit unserer Armee angesichts der veränderten Lage gestärkt werden kann und muss. Müssen wir auch aufrüsten oder gewinnt man Frieden mit weniger Waffen? Brutale Realität und Notwendigkeit der Selbstverteidigung einerseits und Wunschtraum einer waffenlosen friedlichen Welt andererseits prallen aufeinander.

Haben Sie Fragen, Anliegen oder Kritik? Gerne stehe ich Ihnen Red und Antwort.