#StänderatMichel – Politik und Anekdoten

Inhaltlich ist das Parlament in der «Post-Corona-Zeit» angekommen: Themen wie Altersvorsorge, erneuerbare Energien, Kohäsionsbeitrag an EU-Länder, Organspende, Jugendschutz im Film und vor Tabak überwiegen bei weitem die Corona-Diskussion. Das ist gut so. Das gehört zur Normalisierung.

Samstagsgespräch

Am Samstag, 02. Oktober von 11 – 12 Uhr lade ich ein zum Samstagsgespräch mit Aktuellem und Anekdoten aus der Session. Im Freiruum berichte ich von den Geschäften, Abstimmungen und Ereignissen. Danach ist das Samstagsgespräch auch offen für Fragen und Diskussionen unter den Teilnehmenden.

Geburtstag der Bundesverfassung

Einen Tag vor Beginn der Herbstsession feiert unsere erste Bundesverfassung von 1848 Geburtstag: Sie ist datiert vom «zwölften Herbstmonat des Jahres achtzehn hundert vierzig und acht». Das Original dieser Verfassung ist prominent in der Kuppelhalle des Bundeshauses ausgestellt. Zu Recht hebt Ständeratspräsident Alex Kuprecht die Bedeutung dieser Verfassung hervor, ist sie doch die Grundlage unseres Bundesstaates mit den Grundrechten, der föderalen Demokratie und dem Zweikammersystem. National- und Ständerat haben denn auch den Auftrag erteilt, im Jahr 2023 das Jubiläum «175 Jahre Bundesverfassung» gebührend zu feiern. Im Nationalrat war einzig die SVP dagegen; angeblich aus Kostengründen. Würde man mit denselben Kosten das Jahr 1291 feiern, wäre die SVP sicher auch dabei. Schon deshalb, weil die Eidgenossen beim Rütlischwur ein Trychler-Hemd trugen, mindestens in der Fassung von Schillers Drama «Wilhelm Tell».

Trychler und Staatsmänner

Noch zu den «Freiheitstrychlern»: Am Tag vor Sessionsbeginn verursachte der Auftritt von Bundesrat Maurer im Hemd der «Freiheitstrychler» etwas Aufregung. In der aufgeladenen Stimmung zwischen Zertifikatspflicht und Demonstrationen, welche oft mehr mit Aggression als mit Freiheit zu tun haben, war die Parteinahme des Finanzministers nicht gerade staatsmännisch. Wohl hat sein Parteikollege und Ständeratspräsident Alex Kuprecht auch vor diesem Hintergrund die Session mit einem Appell zur Mässigung und Vernunft begonnen: Mit dem Aufruf an alle Bürgerinnen und Bürger «im friedlichen Gespräch, mit aktivem Zuhören und gegenseitigem Verständnis aufeinander zuzugehen und gemeinsam und in Respekt vor den Gedanken des anderen diese pandemische Krise zu meistern.»

Hoher Preis für die AHV-Revision

Gleichstellung von Mann und Frau soll auch beim Rentenalter gelten: 65 für alle! Klar ist, dass es für Frauen wenige Jahre vor der Pensionierung einen Rentenzuschlag als Kompensation für deren verlängerte Lebensarbeitszeit braucht. Es braucht aber keine Über-Kompensation. Satte 3.2 Milliarden Franken an Kompensationen hat die Mehrheit im Ständerat beschlossen; das ist ein Drittel des Volumens, das durch das erhöhte Pensionsalter zur Entlastung der AHV-Finanzen gewonnen wird. Das ist weit mehr, als es objektiv betrachtet für eine faire Kompensation betroffener Frauen braucht: Viele Frauen könnten sich bereits mit 63 Jahren pensionieren lassen und würden dabei höhere Renten erhalten als heute mit 64 Jahren. Das ist ein sehr hoher Preis für eine überfällige Revision unserer zweiten Säule. Man kann diesen Preis nur dann rechtfertigen, wenn alle politischen Kreise und die Sozialpartner klar hinter der AHV-Revision mit gleichem Rentenalter stehen.

Viel Energie fürs Klima

Bei Veranstaltungen für Parlamentsmitglieder rund um das Bundeshaus herrscht ein Thema vor: Energiepolitik und Umgang mit dem Klimawandel. Auch die von mir mitgegründete «Parlamentarische Gruppe Klima» lädt zu einem Anlass mit der Wissenschaft ein. Erfreulicherweise sind alle Fraktionen im Co-Präsidium dieser Gruppe vertreten. Damit bringen wir zum Ausdruck, dass die Herausforderungen des Klimawandels im übergreifenden Interesse und ohne ideologische Scheuklappen angepackt werden müssen. Im Ständerat debattieren wir vier Stunden lang zu erneuerbaren Energien. Die Dauer der Debatte könnte zum falschen Schluss verleiten, dass der Rat Mühe hat. Dem ist jedoch nicht so: Der Grundkonsens ist da; man streitet um die Frage, ab welcher Grösse Wasserkraftwerke Anspruch auf Subventionen haben. und um den für die Alpenkantone heiligen, für andere eher fraglichen Wasserzins. Hier streiten wir nur darum, ab wann darüber wieder gestritten werden soll.


Signal zur Normalisierung an die EU

Der Bundesrat hat die Verhandlungen für ein Rahmenabkommen mit der EU bekanntlich abgebrochen. Das Verhältnis Schweiz – EU ist zerrüttet. Und man hat sich gegenseitig blockiert: Die EU hat mit Druckversuchen (Nichtanerkennen der Börsenäquivalenz) agiert, die Schweiz hat in der Folge den Beitrag zur Kohäsion an verschiedene EU-Länder blockiert. Heute muss man sagen, dass diese Blockadepolitik auf keiner Seite die erwünschten Ziele erreicht hat Es braucht nun eine Normalisierung, was ich als Kommissionssprecher in meinem Votum zum Ausdruck bringe. Als erster Schritt wollen wir den schon versprochenen Beitrag an die Kohäsion in Europa bezahlen (Beitrag an den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in dreizehn Staaten im Osten und Süden der EU). Dies als klares Signal, dass wir gegenüber der EU ein verlässlicher Partner sind. Im Gegenzug können und sollen wir dasselbe von der EU erwarten.

Ethisches Dilemma

Die Initiative «Organspende fördern – Leben retten» kommt solidarisch-leichtfüssig daher. Aber darin verbirgt sich eine Grundfrage: Muss ein Mensch aktiv zustimmen («Zustimmungslösung») oder reicht das Fehlen eines Widerspruchs gegen die Entnahme seiner Organe nach seinem Tod («Widerspruchslösung»)? Wenn man der kleinen aber pointierten Minderheit zuhört, könnte man meinen, dass ich nach meinem Ableben jeglichen Willen über meinen Körper aufgebe und ihn dem Willen des Staates überlasse. Dem ist nicht so: Wenn eine Zustimmung zur Organentnahme nicht belegt oder bezeugt ist – entweder zu Lebzeiten vom Verstorbenen oder nachher durch seine Angehörige, wird der Körper nicht angetastet. Deshalb stimme ich dem indirekten Gegenvorschlag des Parlaments zu (sog. erweiterte Widerspruchslösung). Es sind aber zweifelslos Fragen, die über den politischen Alltag hinausgehen, Fragen um Selbstbestimmung vor und nach dem Tod. Entsprechend wird die Haltung eines jeden und jeder in dieser Diskussion besonderes respektiert.

Kein Mut für grosse Würfe

Wir kennen in der Schweiz je nach Kategorie Mehrwertsteuersätze von 7.7% (Normalsatz), 3.7% (Sondersatz, «Hotelleriesatz») oder 2.5% (reduzierter Satz, «Lebensmittelsatz»). Es ist die komplizierteste Steuer der Schweiz, was Ständerat Caroni am Beispiel eines Brötchens illustrierte, das im Hotel konsumiert wird: «Das untersteht nämlich je nach Tagesverlauf allen möglichen denkbaren Sätzen. Wenn Sie es nach der Übernachtung zum Frühstück essen, dann untersteht es dem Hotelleriesatz; wenn Sie es zum Lunch als Take-away mitnehmen, dann dem Lebensmittelsatz, und wenn Sie es zum Abendessen im Hotel essen, dann dem Normalsatz.» Das Unbehagen über dieses «administrative Monster» ist weit verbreitet. Von daher müsste es einen einheitlichen MWST-Satz geben. Aber die Mehrheit des Rates folgte dem Bedenken des Finanzministers «weil wir nicht daran glauben, dass es gelingt.» Das ist eigentlich ein trauriger Befund – so werden grosse Würfe schon im Kern verunmöglicht.

Hoselupf beim Eigenmietwert

Dagegen gelang ein eigentlicher Paradigmenwechsel bei der Besteuerung von Wohneigentum: Heute wird mit dem Eigenmietwert eine fiktive Steuer von den Eigentümern erhoben. Dies ist schwer verständlich und verhindert bei vielen, die ihr Eigenheim abbezahlt haben, eine sinnvolle Altersvorsorge. Indem alle Hypothekarzinsen abgezogen werden könne, verleitet dies zu höherer Verschuldung. All das ist unerwünscht. Trotz den Mahnrufen von Links, die klassenkämpferisch tönten, stimmte der Ständerat dem Systemwechsel zu und schickt die Abschaffung des Eigenmietwerts nun zum Nationalrat.

Das China-Erwachen

Die Zeit, in der China wegen importierter Billigware belächelt wurde, ist definitiv vorbei. Es gilt zu anerkennen, dass China der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz und wirtschaftlich wie politisch zu einer globalen Führungsmacht geworden ist. Diese Erkenntnis bewog den Bundesrat, eine «China-Strategie» zu definieren. Das Parlament seinerseits ist mit diversen Vorstössen zur Menschenrechtslage, zur Kooperation mit China bis hin zur Stärkung des Austauschs und der Koordination von Schweizer Akteuren gegenüber China aktiv. Den letztgenannten Aspekt habe ich in einem Vorschlag eingebracht, der von der aussenpolitischen Kommission in einer Motion übernommen worden ist und den ich in meinem Votum erfolgreich vertreten habe. Es ist an der Zeit, dass wir eine klare, von unseren Werten geprägte Haltung einnehmen, ohne deswegen den Austausch mit China zu verweigern.

Viel Rauch um den Tabak

Mit neuen gesetzlichen Regelungen soll der Mensch vor den schädlichen Auswirkungen des Konsums von Tabakprodukten und der Verwendung von elektronischen Zigaretten geschützt werden. Die neuen Rechtsvorschriften zielen darauf ab, Massnahmen zur Verringerung des Konsums von Tabakprodukten zu ergreifen – unabhängig davon, ob diese geraucht, erhitzt oder geschnupft eingenommen werden. Eine Streitfrage dreht sich darum, ob Menthol im Tabak gänzlich verboten werden sollte. Der Nationalrat sprach sich noch für ein Verbot von Mentholzigaretten aus, völlig unabhängig vom Alter des Konsumenten. Dies mit der Begründung, Menthol würde das Inhalieren erleichtern und die Gefährlichkeit des Tabaks damit verstecken. Der Ständerat hat diesen Entscheid zu Recht korrigiert und der Nationalrat ist ihm gefolgt. Denn sonst müsste auch Rum-Cola, ein White Russian oder eine Bloody Mary verboten werden – alles Cocktails, welche die Schärfe des Alkohols versüssen und damit ihre Gefährlichkeit verschleiern.

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