#StänderatMichel – Politik und Anekdoten

Die Sommersession der beiden Räte war zwar eine «ordentliche Session», gestaltete sich aber zumindest räumlich und organisatorisch noch als ausserordentlich, da wir in den Ausstellungsräumen der Bern Expo tagten. Davon zeugen auch die Fotos. 

Politisch umstritten

Das erste Geschäft der Session ist zugleich eines der politisch gewichtigsten: Der Ständerat bekräftigt seinen Gegenvorschlag zur Unternehmensverantwortungsinitiative. Damit ist sichergestellt, dass die Schweiz einen international (mindestens mit der EU) abgestimmten Regulierungsweg verfolgt. Eine Haltung, die auch der Zuger Regierungsrat immer vertreten hat. Persönlich verstehe ich die Anliegen der Initiative und teile deren Ziele, dass weltweit Menschenrechte konsequent eingehalten und die Umwelt geschützt werden, auch beim Abbau von Rohstoffen. Zusammen mit der klaren Mehrheit im Ständerat bevorzuge ich aber ein international abgestimmtes Vorgehen in diesem globalen Geschäft. Wichtig finde ich, dass nun eine Volksabstimmung über die Stossrichtung der Schweizer Gesetzgebung stattfinden kann.

Grüner Tag

Ein Blick auf die Traktandenliste verheisst einen grünen Tag, da viele Umweltvorlagen aus dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) gebündelt behandelt werden: parlamentarische Vorstösse für das Recycling und für die Sonnenenergie oder solche gegen das Insektensterben und gegen das Littering. Auffällig ist, dass diese Vorschläge, die Zustimmung finden, aus ganz verschiedenen politischen Kreisen stammen. Der Schutz der Umwelt beschäftigt alle.

Ein Schwergewicht ist die Beratung des Berichts zur Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Die Schweiz ist europäische Spitzenreiterin bei der Verlagerungspolitik. Gleichwohl sind die Ziele der Alpenschutzinitiative noch nicht erreicht. Es herrscht Einigkeit über die Parteien hinweg, dass die Verlagerungspolitik konsequent weitergeführt werden soll, und der Ständerat spricht noch zusätzliche Mittel dafür, was mich freut. Folgerichtig resümiert die Bundespräsidentin und UVEK-Vorsteherin am Ende dieses Tages. «Heute ist ein guter Tag für die Umwelt».

Bildung und Innovation hoch im Kurs

Für die Schweiz sind eine erstklassige Bildung und eine weltweit führende Forschung wichtig. Das kommt in dem vom Bundesrat beantragen vierjährigen Zahlungsrahmen von 28 Milliarden Franken zum Ausdruck (sog. Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation). Unsere Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-S) hat in der Technologie- und Innovationsförderung noch zusätzliche Schwerpunkte gesetzt. Persönlich habe ich mich in der Kommission sowie im Rat erfolgreich dagegen gewehrt, dass gewisse Kredite vorläufig gesperrt bleiben. Damit wird geklärt, mit welchen Beiträgen die Bildungs-, Forschungs- und Innovationsinstitutionen in den nächsten vier Jahren rechnen können. Vorausgesetzt, der Nationalrat sieht dies gleich und es gibt keine einschränkenden Sparrunden.

Generell war es eine wichtige Session für Bildung und Innovation. Selber konnte ich mich wirksam in unserer Kommission (WBK-S) sowie als deren Berichterstatter im Rat dafür einsetzen, dass unser wichtigstes Berufsbildungsinstitut, das als Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung (EHB) eine neue Grundlage erhält. Und für Fortschritte in der Digitalisierung im Betreibungsrecht: Hier sehe ich Anwendungsmöglichkeiten für die Blockchain-Technologie

Sport ist emotional

Der Sport entfesselt Emotionen – auch in der Politik. Und das nicht nur, weil unser provisorischer Sitzungsort neben dem Wankdorf-Stadium liegt, und über dem Eingang von Bern Expo die Nummern prangen wie auf einem Siegerpodest. Wir debattieren finanzielle Massnahmen zur Stützung der obersten Fussball- und Eishockeyligen. Viele Redner outen sich als Vorstandsmitglieder, Beiräte oder Fans solcher Clubs. Oder als Väter von Kindern in den Nachwuchsabteilungen. Und als Zuger fühlt man sich natürlich mit dem EVZ ohnehin besonders angesprochen. Ich selber habe Bedenken gegen eine unausgereifte, kaum praktikable Lösung. Der Ständerat stimmt aber knapp zu.

Vermieter in Zwangshaft

Vermieter sollen für die zwei Monate der corona-bedingten, zwangsweisen Schliessung von Lokalen 60% der Miete reduzieren müssen. Nachdem der Nationalrat die Vermieter in dieser Weise in die Pflicht genommen hat, stimmt der Ständerat dem auch zu, allerdings äusserst knapp mit 20:19 Stimmen. Dieses Verhältnis zeigt, wie umstritten diese Idee ist. Meines Erachtens geht sie zu weit: Auf diese Weise greift der Bund in private Vertragsverhältnisse ein und dies erst noch rückwirkend. Fundamentale Rechte wie die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie sind tangiert. Problematisch ist auch, dass es noch weitere Monate bis zur Beratung der entsprechenden Gesetzesvorlage dauert. Und ob dann der Ständerat wieder zustimmt, ist fraglich. Das Parlament kann so auch falsche Erwartungen wecken.

Pflege ist systemrelevant

Die Bedeutung der Pflege wurde uns in der Corona-Zeit besonders bewusst. Schon zuvor wurde die Pfleginitiative eingereicht und zeigt Handlungsbedarf auf. Der Ständerat will mit einer Ausbildungsoffensive und neuen Kompetenzen den Pflegeberuf stärken. Deshalb beschliesst er einen indirekten Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative. Dieser wird den Bund für 400 Millionen Franken verpflichten. Bei aller Unterstützung für die Attraktivität dieser Beruf möchten wir im Ständerat gewisse Grundregeln einhalten, weshalb nicht die Initiative, sondern ein Gegenvorschlag unterstützt wird. So sind wir dagegen, dass Bund die Kantone zu neuen Ausbildungsbeiträgen verpflichtet, die sie ohne Einflussmöglichkeit einfach zu bezahlen hätten. Und wir möchten auch nicht, dass die Pflegenden selbständig ohne Weiteres direkt mit den Krankenkassen abrechnen können, was die Gefahr von Kostenausweitungen mit sich bringt. Im Zusammenhang mit der Frage, welche Institutionen und Berufe für das Überleben unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme wesentlich sind, sagt ein Ständeratsmitglied am Rednerpult selbstironisch: «Vielleicht sind am Schluss sogar wir Politikerinnen und Politiker systemrelevant.»

«Le Röstigraben»

Auch Westschweizer brauchen den Ausdruck «le Röstigraben», wenn sie von der Grenze zwischen Deutsch- und Westschweiz sprechen. Auf Französisch kennt man noch «le rideau de rösti» (übersetzt: «Rösti-Vorhang») oder «Outre-Sarine», also ennet des Flusses Sarine. In parlamentarischen Voten hört man nicht selten aus Westschweizer Mund ein zusammengesetztes deutsches Wort, so etwa «le Rattenschwanz». Oder ein Wort, das nun in der Corona-Zeit im Parlament die Runde macht: «La Überführungsgesetzgebung». Es geht darum, die Notverordnungen des Bundesrates nach deren zeitlichem Ablauf im Herbst soweit notwendig in ordentliches Recht zu überführen. Das allein ist schon komplex. Aber auch der französische Ausdruck dafür: «la législation de transfert du droit urgent en droit ordinaire» . Dann also kürzer «la Überführungsgesetzgebung» en français fédéral.

Auch ich überwinde gerne den Röstigraben und kann ein grösseres Interview in der französischsprachigen Freiburger Zeitung «La Liberté» geben.

Grünes Licht für die Armeebotschaft

Für die Investitionen in die Armee genehmigt der Ständerat einen Zahlungsrahmen von 21.1 Milliarden Franken. Damit sind die maximalen Ausgaben für die nächsten vier Jahre definiert. Angesichts der periodisch aufkeimenden Fragen zu Sinn und Zweck der Armee ist diese Debatte erstaunlich unspektakulär, und die Vorlage wird einstimmig verabschiedet. Der Grund liegt sicher auch darin, dass mit diesem Mitteln auch die militärische Katastrophenhilfe zugunsten der Zivilbevölkerung auf den neusten Stand gebracht wird. Der Bildschirm mit lauter zustimmenden grünen Punkten veranlasst den Ständeratspräsidenten zur Aussage: «Es grünt so grün.»

«Zusammengerotteter Haufen»

Militärisch mutet auch der «zusammengerottete Haufen» an: Dieser Begriff kommt im Strafgesetzbuch vor, was zeigt, wie blumig die Sprache in den oft trockenen Gesetzen sein kann. Das denke ich mir bei einer Revision des Strafgesetzbuches, in welcher es um eine Angleichung der Mindest- und Höchststrafen bei vergleichbaren Delikten geht. Ich halte mich bei Artikel 285 des Strafgesetzbuches auf («Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte»), welcher eine besondere Bestrafung für die Tatbegehung «von einem zusammengerotteten Haufen» vorsieht. Französisch übersetzt: «foule ameutée». Da danke ich sofort an «Meuterei», was allerdings in Französischen wieder durch «Muterie» übersetzt wird. Sprachen sind bunt und vielschichtig.

Biodiversität im Garten der Demokratie

Das letzte Geschäft der Session ist wieder ein umstrittener Schwerpunkt: «Massnahmenpaket zugunsten der Medien» heisst die Vorlage griffig. Was man sich vor einigen Jahren, als die Medienlandschaft noch vielfältiger war, kaum vorstellen konnte, ist nun Realität: Analog der zu schützenden Biodiversität in der Natur soll im Garten der Demokratie die Medienvielfalt erhalten bleiben. Die schon bisherige Unterstützung der Zustellung von Print-Medien wird verstärkt; zusätzlich das Angebot regionaler TV- und Radioprogramme. Bei den Online-Medien setzt der Ständerat der Staatsunterstützung jedoch Grenzen.

Rückkehr ins Paradies

Applaus gibt es, als der Ständeratspräsident verkündet, dass die Räte und Kommissionen ab Ende Juni wieder im angestammten Bundeshaus tagen werden, was er hoffnungsfroh mit «le retour au paradis» umschreibt. Das trifft auch mein Empfinden, denn das staatsmännische Ambiente unseres Palais fédéral fehlt mir schon. Einen Schritt in diese Richtung tue ich mit zwei Kollegen: An einem lauen Abend sitzen wir draussen beim Nachtessen in Sichtweite des Bundeshauses. Im goldigen Abendlicht erscheint dieses so, wie unsere Kinder es früher nannten: «S’goldige Huus».

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