#StänderatMichel – Politik und Anekdoten

Die Wahl der Regierung ist in anderen Ländern spektakulärer, aber auch unberechenbarer. In der Schweiz mit ihrem Konkordanzsystem gibt es keine unerwarteten Umwälzungen, auch wenn der Medienrummel vor der Bundesratswahl gross war. Aber immerhin führt der Medienwirbel zu einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Vorgänge in Bundesbern. Und das ist gut so. Nicht nur ein Wahlprozedere, sondern auch die täglichen Ratsdebatten lassen sich live über die Homepage des Parlaments mitverfolgen. Wer weniger Zeit hat und auch Geschichten aus dem Bundehaus erfahren will, liest diesen Newsletter.

Samstagsgespräch

Am Samstag, 23. Dezember von 11 bis 12 Uhr lade ich zum Samstagsgespräch mit «Aktuelles und Anekdoten» aus der Wintersession ein. Im Restaurant Fischerstube in der Zuger Altstadt berichte ich über die Schwerpunkte, anschliessend ist das Gespräch offen für Fragen und Diskussionen.

Anfangsgewusel

Der Begriff «Gewusel» passt: Neugewählte Ratsmitglieder suchen in den Gängen des Bundeshauses die richtigen Ein- und Ausgänge, hinter den Kulissen wird um die Plätze gerungen: sowohl um die Einsitznahme in den Kommissionen als auch um den gewünschten Sitzplatz im Ratssaal. Für mich ist es eine Mischung aus Bewährtem und Neuem: Ich schätze meine bisherigen Kommissionen, die Aussenpolitische sowie die Kommission für Bildung und Kultur. In der Geschäftsprüfungskommission trete ich nach zwei intensiven Jahren als Präsident zurück und wechsle nahtlos in die PUK und in die Rechtskommission. Mein Platz im Rat bleibt der bewährte: in der begehrten letzten Reihe neben meinen Westschweizer Kollegen.

Feierlichkeiten

Die Wahl des Präsidiums von National- und Ständerat ist ein alljährliches Ritual. Diesmal war es etwas feierlicher, da eine neue Legislatur beginnt. Vorgängig werden die neuen Ratsmitglieder vereidigt und alle singen gleichzeitig in ihrer Landessprache die Nationalhymne. Dass vorher noch eine Sängerin alle vier Strophen vorträgt, passt irgendwie mässig: Eine Hymne ist kein Konzertstück und der Ständeratssaal keine Konzertbühne. Gleiches gilt für den «Beizenchor» aus Basel, der zur musikalischen Begleitung der neuen Ständeratspräsidentin singt: Die dargebotenen rockigen Schlager mit Liedern von Patent Ochsner und Luc & Leduc swingen zwar, wirken aber im Parlamentssaal etwas eigenartig. Schmunzeln muss ich über den Text, der auf die Präsidentin im roten Kleid gemünzt ist: «Weisch sie isch e Flamme, e Flamme u sie chunnt im rote Chleid».

Budget als Buchhaltungsübung

Die ist eher eine buchhalterische als eine finanzpolitische Übung: Es gibt praktisch keinen Spielraum mehr, um die Schuldenbremse einzuhalten. Es ist ein Zupfen am Tischtuch. Wird irgendwo mehr ausgegeben, muss anderswo gespart werden. Sonst droht die Kreditsperre. Das Parlament beschliesst zu hohe Ausgaben, und der Bundesrat muss dann durch lineare Kürzungen die Grenzen der Schuldenbremse einhalten. Das wäre aber eine Bankrotterklärung des Parlaments, das es selber nicht schafft, die Vorgaben der Schuldenbremse einzuhalten. Deshalb stimme ich jeweils gegen einzelne Erhöhungsanträge. Zu guter Letzt erhöht das Parlament nicht das Gesamtbudget, sondern verschiebt zur Einhaltung der Schuldenbremse die Mittel von einem Milliardentopf in den anderen: von der Bahninfrastruktur hin zur Landwirtschaft.

 

Ja zur langfristigen Bahnentwicklung

Um Geld geht es auch im Bahnverkehr. Im Gegensatz zu einem Budget, das das kommende Jahr betrifft, geht es hier um die langfristige Strategie «Perspektive Bahn 2050» und um Investitionen in die zentrale Bahninfrastruktur unseres Landes. Die Botschaft des Bundesrates wurde vom Ständerat gut aufgenommen und punktuell ergänzt; somit wurde auch die Finanzierung des lang ersehnten und für die Verbindung Zürich-Zug-Luzern zentralen Zimmerbergtunnels II nochmals bestätigt. Diese und andere wichtigen öV-Infrastrukturen sind möglich dank der vor zehn Jahren vom Schweizer Volk gutgeheissenen Vorlage «Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI)».

Fast ein Westschweizer

Mit meinen Erfahrungen zur und in der Romandie pflege ich gerne die Brücke über den Röschtigraben. Unter der Bundeskuppel vom Deutschen ins Französische zu wechseln, ist ein Genuss. Oft findet man Ausdrücke, die sich auf Deutsch besser sagen lassen als auf Französisch – und umgekehrt. Aber auch politisch ist mir der Zusammenhalt über die Sprachgrenzen hinweg wichtig – und das geht immer über den Austausch, über die Sprache. So spreche ich auch ab und zu mit Medienleuten aus der Westschweiz. Gefreut hat mich, dass mich die Genfer Zeitung «Le Temps» als «le plus Romand des Alémaniques» bezeichnet hat – auch das lässt sich kaum übersetzen: Der «westschweizerischste Deutschschweizer» wäre die direkte Übersetzung. Eine wunderbare Produktion im Sinne der «Cohésion nationale» ist übrigens der Schweizer Film «Bon Schuur Ticino». Ich habe herzhaft gelacht – auf Deutsch, Französisch und Italienisch.

Gesundheitspolitisches Schlüsselwort EFAS

Das Gesundheitswesen ist in verschiedener Hinsicht komplex. Eine jahrelange Baustelle wird nun mit EFAS geschlossen. Dieses Kürzel hat nichts mit dem Eidg. Schwing- und Älplerfest (ESAF) zu tun, sondern ist eine noch grössere, milliardenschwere Kiste: Heute werden ambulante Behandlungen anders finanziert (von den Krankenkassen) als stationäre (hier bezahlen die Kantone 55%). Das hemmt die kostengerechte Verlagerung zu mehr ambulanten Behandlungen. Neu sollen beide Bereiche einheitlich aus einer Hand finanziert werden (E steht für einheitlich, F für Finanzierung, A für ambulant und S für stationär). Wenn schon eine gesamtheitliche Betrachtung, dann gehören auch die Pflegedienstleistungen dazu, forderten die Kantone. Entsprechend hat der Ständerat dafür gesorgt, dass auch deren Finanzierung in das neue Gesamtsystem integriert wird. Damit wird verhindert, dass künftige Kostensteigerungen einseitig zulasten der Gemeinden und Kantone gehen, wie der Städteverband erklärt.

Akzeptanz statt Diskriminierung

Aus einem Treffen mit intergeschlechtlichen Menschen des Vereins InterAction vor zwei Jahren beginnt für mich ein Lernprozess. Und führt nun hoffentlich für Betroffene zu höherer Akzeptanz. Intergeschlechtlichkeit ist ein Oberbegriff für angeborene Variationen der Geschlechtsmerkmale, die sich von der Medizin und der Gesellschaft definierten Vorstellungen von männlich oder weiblich unterscheiden. Leider führten gesellschaftliche Vorstellungen dazu, diese Kategorisierung durch Operationen oder hormonelle Eingriffe am Kind vorzunehmen. Damit tut man einer Person, die selber noch nicht urteilsfähig ist, Gewalt an. Dieser Verletzung eines Grundrechts wollte ich mit meiner Motion für ein Verbot solcher geschlechtsverändernden Eingriffe entgegenwirken. Zwar fand mein Vorstoss in der Rechtskommission keine Unterstützung, der Handlungsbedarf wurde aber erkannt: In intensiven Vorarbeiten half ich mit, dass nun der Ständerat eine Motion verabschiedete, welche die Situation betroffener Kinder und deren Eltern mittels medizinisch-ethischer Richtlinien verbessern soll. In meinem Votum lege ich Wert darauf, dass Variationen der Geschlechtsmerkmale nicht zum Vornherein als krankhaft und zu korrigieren definiert werden. Sondern dass die Akzeptanz für solche Menschen erhöht und ihnen zum Zeitpunkt ihrer Urteilsfähigkeit die Selbstbestimmung über ihren Körper belassen wird.

Plötzlich in der PUK

Das Jahr 2023 wird für die Credit Suisse als Krisenjahr in die Geschichtsbücher eingehen. Die Ursachen dürften aber viel weiter zurückliegen. Sie zu erforschen und die beteiligten Behörden auf ihr Wissen und ihr Vorgehen zu untersuchen, ist die Aufgabe der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK). «Die PUK benötigt neue Mitglieder» titeln Medien nach den Wahlen wegen der Abwahl zweier Parlamentarier. Ich bin nun eines dieser neuen Mitglieder. Ich habe diese Aufgabe nicht gesucht, freue mich aber, sie im staatspolitischen Interesse wahrzunehmen. Infolge einer Abwahl rücke ich in diese Kommission nach und habe zunächst einige Kilogramm Papier oder einige Megabyte digitale Lektüre nachzuholen.

Wurstkultur

u oft waren Würste als mit minderwertigem Fleisch (oder anderem) zubereitete Nahrungsmittel verpönt. Im Zeichen der aufkommenden Kreislaufwirtschaft – eben erst behandelten wir eine entsprechende Initiative – sollen möglichst alle tierischen Bestandteile verwertet werden, auch zum Stopfen von Wursthäuten. Seit die EU auch fleischlose Würste mit dieser Bezeichnung zulässt, ist der Wurstbegriff noch umfassender, ja inklusiver geworden. Dass auch Kultur ein weiter Begriff ist, beweist die Parlamentarische Gruppe Kultur, die jährlich zum «Wurstanlass» einlädt. Sie tut dies unter dem Titel «Kultur ist uns Wurst, aber Wurst ist uns Kultur!». Als neuer Präsident dieser Gruppe begrüsse ich eine kulturinteressierte Schar und zeige auf, wie viel die Wurst auch zum nationalen Zusammenhalt beiträgt – von der Olma-Bratwurst bis zur Tessiner Geissenwurst «Cilitt», von der Bünder Hirschwurst bisn V zur Saucisson Vaudoise.

Mit Motionen bewegen

Als Parlamentsmitglied will man über Vorstösse, zum Beispiel Motionen, etwas bewegen; das besagt schon der entsprechende englischsprachig Begriff «motion». Das erste Erfolgserlebnis ist, wenn ein eigener Vorstoss in beiden Räten gutgeheissen und damit der Bundesrat verbindlich beauftragt wird. Das zweite Erfolgserlebnis stellt sich ein, wenn solche Aufträge vom Bundesrat erfüllt werden. Das erlebe ich nun zum Jahresende doppelt: In Erfüllung meines allerersten Vorstosses zur Nutzung des wissenschaftlichen Potenzials für Krisenzeiten hat der Bundesrat zusammen mit den Wissenschaftsinstitutionen deren Einbezug in Krisen geregelt. Sodann erfüllt er die von mir angestossene Kommissionsmotion zur Sekundärnutzung von Daten: Er hat erste Massnahmen getroffen und Aufträge erteilt, um ein Schweizer  Datenökosystem zu schaffen. Auch deshalb beende ich zufrieden meine erste Legislatur und bin sehr motiviert, mit dieser Wintersession in meine zweite zu starten!

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