Wie viele Nationalfeiertage brauchen wir?

Spielt es eine Rolle, ob wir am 1. August das Jahr 1291 oder 1848 feiern? Und: Ist die selbstverantwortliche Beteiligung an der Gesellschaft nicht wichtiger als die Macht im Staat? Ein Gedankenspiel zum Schweizer Nationalfeiertag.

In der Stadt Zug wird Nik Hartmann zum 1. August sprechen. Ich freue mich, weil er Land und Lüt sehr gut kennt und dazu etwas zu sagen hat. Dass am Nationalfeiertag immer weniger Politikerinnen und Politiker reden, hat wohl mit dem Bedenken der Organisatoren zu tun, sonst ins parteipolitische Geplänkel zu geraten. Und: Es gibt ja auch viele gescheite Geister, die mit mehr Distanz zur Politik reflektieren können.

So hat unter anderem der Luzerner Schriftsteller Peter Bichsel in seinem Text «Des Schweizers Schweiz» ein überhöhtes Nationalgefühl kritisiert; gleichzeitig bekannte er sich aber klar zur Schweiz – beides ist möglich. Er anerkennt, dass er den Liberalen des 19. Jahrhunderts seine politische Freiheit zu verdanken hat und propagiert, dass man sich besser aufs Jahr 1848 als Jahr der Gründung des Bundesstaates berufen solle als aufs Jahr 1291.

Da wird er sich über den Nationalrat freuen, der den 12. September als (zweiten) Nationalfeiertag einführen will. Damit soll der Bedeutung der Gründung unseres Bundesstaates im Jahr 1848 gedacht werden. Der Kampf der Ideologien ist damit lanciert: Feiern wir die Eid-Genossen von 1291 oder die liberalen Staatsgründer von 1848?

Macht wird frühzeitig reguliert

Ich meine, beides verdient Respekt und Erinnerung: Das jahrhundertelange Kämpfen um Selbständigkeit einzelner Kantone und deren Bündnisse als auch das Kunststück, nach dem Sonderbundskrieg von 1847 einen Bundesstaat zu gestalten. Beides können wir am 1. August feiern, ohne einen zweiten Feiertag definieren zu müssen.

Der 1. August und auch das Jahr sind eher zufällig, stammt doch einfach der älteste gefundene Bundesbrief von Anfang August 1291; es dürfte noch ältere gegeben haben. Also: Der Beginn unserer Eidgenossenschaft als kleiner Kreis von Verbündeten ist älter als 1291, das Ringen um den Machtausgleich in unserem Staat aktueller als 1848.

Denn auch seither stellt sich immer wieder die Frage, wer die Macht hat in unserem Land. Für die Schweiz ist dies aber eigentlich die falsche Frage. Denn jede Gefahr einer (zu) mächtigen Person oder Institution wird gebannt durch unsere Mechanismen des Machtausgleichs in unserem politischen System mit zwei gleichberechtigten Kammern des Parlaments und durch starke direktdemokratische Instrumente.

Verfassungsmässiges Bekenntnis zur Selbstverantwortung

Bei zwei bedeutenden aktuellen Initiativen geht es weniger um die Beteiligung an der staatlichen Macht als an der Gesellschaft: Die Inklusionsinitiative fordert, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt und gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Die Service-citoyen-Initiative ihrerseits knüpft an den Pflichten an: Die Wehrpflicht für Schweizer Männer soll ersetzt bzw. ergänzt werden durch einen Dienst zugunsten der Allgemeinheit und der Umwelt, dies unabhängig des Geschlechts und möglicherweise auch für Personen ohne Schweizer Bürgerrecht.

An dieser Initiative gefällt mir, dass sie nicht einfach mehr staatliche Leistungen fordert, sondern uns alle in die Pflicht nimmt. Denn Unabhängigkeit und Freiheit sind nicht einfach staatliche Garantien, sondern sie sind von jeder und jedem immer wiederzuerringen, dies im Sinne des Bekenntnisses unserer Bundesverfassung: «dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht».

Und gerne erinnere ich an unsere Selbstverantwortung, die im wenig bekannten Artikel 6 der Bundesverfassung unter dem Titel «Individuelle und gesellschaftliche Verantwortung» verankert ist: «Jede Person nimmt Verantwortung für sich selbst wahr und trägt nach ihren Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Staat und Gesellschaft bei.» So freue ich mich, dass Nik Hartmann mit seiner Rede in der Stadt Zug eine verantwortungsvolle Aufgabe übernommen hat.